Bratkartoffeln und der Rhein – „Streifzüge durch Deutschland“ von Mary Wollestonecraft Shelley

Das erste Mal bereiste Mary Shelley Deutschland, als sie mit ihrem zukünftigen Mann Percey Shelley in Richtung Schweiz durchbrannte. Das war im Sommer 1814. Die Fahrt entlang des Rheins findet später ihren Niederschlag in der Reise, die Victor Frankenstein in umgekehrter Richtung von der Schweiz nach England unternimmt. Selbst sein Name stammt von einer Burg, die Shelley auf ihrer Reise besichtigte. Der Reisebericht dieser ersten Reise fällt allerdings ausgesprochen knapp aus. Das änderte sich, als sie Deutschland anlässlich zweier Italienreisen in den Jahren 1840 und 1842 erneut besuchte. Das eine Mal war das eigentliche Ziel der Comer See, das zweite Mal sollte es in die Toskana gehen.

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Sinnsuche zwischen Nadelbäumen: „Die Kieferninseln“ von Marion Poschmann

Gilbert Silvester, aktuell Bartforscher in befristeter Anstellung, träumt eines Nachts, dass sein Frau ihn betrogen habe. Ohne weitere Klärung verlässt er am nächsten Morgen tief erschüttert die gemeinsame Wohnung und fährt zum Flughafen, wo er in das nächste Flugzeug steigt, das zu einem weit entfernten Ziel fliegt. So kommt er nach Tokyo. Freiwillig hätte er das nie gemacht, da er Tee-Kulturen meidet, weil sie, seiner Einschätzung nach, alles verkomplizieren und unter einem Schleier der Mystik verbergen. Dass er es nun doch tun muss lastet er klar seiner Frau an, die derweil zu Hause sitzt und sich fragt, wo ihr Mann abgeblieben ist.

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In Tokyo bleibt Gilbert nicht lang allein. Während er fasziniert das perfekt organisierte Treiben an einem Bahnhof beobachtet, trifft er auf Yosa Tamagotchi, den er mit völlig unbeherztem Eingreifen von einem Selbstmord eher ablenkt als abhält. Der Bahnsteig sei sowieso ein nur drittklassiger Ort für einen Selbstmord, erklärt Yosa und schließt sich Gilbert an, der den Plan entwickelt, auf den Spuren des Haiku-Dichters Bashō nach Matsushima, zu den Kieferninseln zu reisen. Überhaupt die Kiefern und die Wälder – sie spielen eine wichtige Rolle auf den japanischen Inseln und auch in diesem Roman. Gilbert erscheint es geradezu sinnlos, die Wuchsform der Bäume und die Form einzelner Äste zu bestaunen. Anders die Autorin. Sie begeistert sich für die Landschaften, durch die die beiden Männer reisen und beschreibt sie bis ins Detail.

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Alte Jungfern auf der Walz – „Spinsters“ von Pagan Kennedy

1968 ist ein ereignisreiches Jahr. Bobby Kennedy und Martin Luther King werden ermordet, in Memphis sorgt der „sanitation strike“ für Aufregung, überall in den USA formiert sich Widerstand gegen den Vietnam-Krieg und Frannies Vater stirbt. Letzteres ist der Nation herzlich egal, zieht Frannie aber den Boden unter den Füßen weg, denn ihr Vater nimmt ihre Identität mit ins Grab. Mit Mitte dreißig definiert Frannie sich ausschließlich als seine Tochter, die ihn nach dem frühen Tod der Mutter und durch eine langsame, grausame Krankheit hindurch gepflegt hat. Nach seinem Tod kann sie nur noch Frannie sein, hat aber keine Ahnung, wie man das macht, was man darf, was man trägt. Hilfe findet sie bei ihrer Schwester Doris, die, ebenfalls unverheiratet, auch noch im Haushalt des Vaters lebt. Gemeinsam folgen sie der Einladung einer Tante, einer weiteren „alten Jungfer“, die ohne Mann in Virginia lebt. Frannie freut sich. Von der Tante kann sie lernen, wie man so lebt als unverheiratete Frau, als „spinster“.

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Doch Doris hat andere Pläne. Sie will mehr sehen von diesem großen Land und hält es nicht lange aus im eintönigen Leben ihrer Tante. Wohl oder übel schließt Frannie sich ihr an und gemeinsam fahren sie im Plymouth Valiant quer durch die USA. Sie verbringen Stunde um Stunde auf dem Highway, kommen in Motels unter, essen in austauschbaren Diners, kaufen neue Kleider, reden, reden und streiten. Doris fängt an zu rauchen. Frannie lässt sich versehentlich eine neue Frisur verpassen. Vor allem für Frannie bedeutet die neue Freiheit aber auch Unsicherheit. Sie fürchtet ständig, dass Doris jemand anderen finden könnte, einen Mann, eine neue Freundin, irgendjemand, mit dem sie weiter zieht und Frannie alleine zurücklässt. Sie kann sich nicht vorstellen, ihr Leben mit irgendjemand anderem als ihrer Schwester zu verbringen. Für sie war immer klar, dass die Reise nur eine Unterbrechung ist und sie am Ende wieder nach New Hampshire fahren werden, wo sie weiter unverheiratet zusammenleben werden. Mit alten Kleidern und gewohnter Frisur. Doch die vielen Kilometer Asphalt, die die beiden Schwestern hinter sich lassen, werden langsam zum unsichtbaren Hindernis.

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Matt Ruff: Lovecraft Country

H.P. Lovecraft ist heute vor allem als genreprägender Autor von Horroliteratur bekannt. Besonders sein Cthulhu-Mythos hat Kultstatus erlangt, aber auch die Erforschung geheimen Wissens ist ein wiederkehrendes Motiv seines Werks. Ebenso wie Rassismus – wenn Lovecrafts Verteidiger auch betonen, dass dieser eher kulturell als hardline biologisch determiniert gewesen sei, sind einige seiner Äußerungen halt schon hart. Der Begriff „Lovecraft Country“ bezeichnet ein Gebiet in Massachusetts, bestehend aus realen und fiktiven Orten, in denen Lovecraft seinen Cthulhu-Mythos ansiedelte und in dem auch die meisten darauf aufbauenden Werke anderer AutorInnen spielen.

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In dieses Gebiet verschlägt es nun Atticus, seinen Onkel George und seine Freundin Letitia. Die drei sind auf wichtiger Mission, denn sie suchen Atticus Vater Montrose, der auf der Suche nach familiären Verbindungen einem geheimnisvollen Fremden in diese Gegend gefolgt sein soll. Die Reise ist für die drei besonders gefährlich, denn sie sind schwarz und die Geschichte spielt in den 1950ern, als die Jim Crow Laws noch in voller Blüte standen. Schwarze dürfen nicht in allen Hotels übernachten, werden in kaum einem Restaurant bedient und eine simple Reifenpanne kann ein großes Problem werden, wenn weit und breit keine Werkstatt bereit ist zu helfen. Immerhin ist mit George eine gewisse Expertise an Bord. Er ist der Herausgeber eines Reiseführers mit sicheren Adressen für Schwarze, dem Safe Negro Travel Guide – erschreckenderweise musste es dieses Buch tatsächlich bis in 1960er geben, allerdings unter dem Titel The Negro Motorist Green Book. Doch trotz seines Wissens gerät die Reise zu einem höchst gefährlichen Roadtrip und nur mit Müh und Not schaffen sie es in das abgelegene Dorf, in dem sie Montrose vermuten. Doch das ist erst der Anfang. Denn kaum ausgestiegen finden sie sich in den Fängen eines rassistischen Geheimordens, der in Atticus den Hüter magischer Fähigkeiten vermutet. Plötzlich ist die ganze Familie verwickelt in eine uralte, hochkomplexe und noch dazu sehr riskante Logen-Fehde.

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Leipzig by the book

Viele von euch kennen Leipzig ja zumindest von Messe-Besuchen, ich kannte es noch nicht. Nun war es am letzten Wochenende das Ziel eines Kurztrips, den ich zusammen mit einer Freundin unternommen habe. Natürlich mit einer, die liest und erst bei der vierten Buchhandlung fragt, ob ich da sicher auch noch rein will.

Weil wir aus völlig verschiedenen Richtungen angereist sind, haben wir uns am Hauptbahnhof getroffen, wobei ich ein bisschen warten musste. Die Zeit habe ich ganz vortrefflich in der Buchhandlung Ludwig vertrödelt, die für eine Bahnhofsbuchhandlung wirklich außergewöhnlich schick und gut sortiert ist. Ein paar Stufen hinauf gibt es auch ein Café, das ich leider aus Platzmangel nicht ausprobieren konnte. Wahrscheinlich ist das aber ein gutes Zeichen.

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David Foster Wallace: Schrecklich amüsant aber in Zukunft ohne mich

schrecklichamuesantIm Auftrag des Harper’s Magazine machte David Foster Wallace 1995 eine Kreuzfahrt an Bord der Zenith. Umgeben von lauter amüsierwilligen Kreuzfahrt-Veteranen findet er dort genau die Hölle vor, die er erwartet hatte. Von der ersten Minute an sträubt er sich gegen die organisierte Fröhlichkeit, das bemühte „sich etwas gönnen“ und die steifen Abendessen.

Nein, das ist kein objektiver Blick auf die Kreuzfahrtindustrie. Wallace weiß, dass er Kreuzfahrten hassen wird und will Kreuzfahrten hassen und will eine bösartige Reportage darüber schreiben. Er will Klischees erfüllt sehen und findet sie natürlich auch an allen Ecken und Enden. Wer eine differenzierte oder fundiert kritische Reportage über die Tourismus-Industrie lesen will, ist hier leider falsch.

Wer Lust auf ein bisschen unterhaltsame und kluge Boshaftigkeit hat, wird sicher viel Spaß mit diesem Buch haben. Gewarnt sei vor der Unmenge an Fußnoten und Fußnoten zu Fußnoten, die den Lesefluss gelegentlich einschränken, aber trotzdem Spaß machen. Ein gutes Buch für alle, die schon immer (begründet oder unbegründet) wussten, dass sie Kreuzfahrten schrecklich finden.


David Foster Wallace: Schrecklich amüsant aber in Zukunft ohne mich. Goldmann 2005. € 7,99, 192 Seiten. Deutsche Erstausgabe mare 2002. Übersetzt von Marcus Ingendaay. Originaltitel: A Supposedly Fun Thing I’ll Never do Again. Little, Brown and Co. 1997.

Die passende Ferienlektüre für jedes Urlaubsziel

Ich versuche immer, ein Buch passend zum Urlaubsziel mit auf die Reise zu nehmen. Das gestaltet sich hin und wieder recht mühsam, wenn es nicht gerade in Weltstädte und andere kulturelle Zentren geht, zu denen einem spontan was einfällt. Weil ich ahne, dass es anderen nicht besser geht, hab ich mal ein paar hilfreiche Links zusammengesucht, die eine erste Anlaufstelle für die Urlaubslektüre sein könnten, sortiert nach völlig subjektiver Nützlichkeit:

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Stephan Orth: Couchsurfing im Iran

couchsurfingZwei Monate tingelte der Autor durch den Iran, von Couch zu Couch (bzw. Teppich zu Teppich) und lies sich dabei weniger von Empfehlungen aus dem Reiseführer leiten oder auch nur von den eigenen Plänen, sondern lies sich komplett auf das ein, was seine Gastgeber ihm vorschlugen.

An sich eine spannende Sache. Leider bleibt das ganze aber ein bisschen zu oberflächlich – tatsächlich kann ich mich ein paar Tage nachdem ich das Buch zu Ende gelesen habe, kaum noch an eine der Geschichten erinnern. Der Anfang ist spannend, da beschreibt er eine gar nicht so einfache Begegnung mit zwei iranischen Zöllnern, die hoffentlich, bitte, nicht zu weit durch die Bilder auf seiner Kamera scrollen. Aufgrund der ersten Szene wollte ich das Buch auch unbedingt weiterlesen. Und dann bin ich halt irgendwie dran geblieben, schlecht ist es ja auch nicht.

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