1864 gehen Harriet und Joseph Blackstone in Christchurch von Bord eines Passagierschiffes, das sie den ganzen Weg von England in eine verheißungsvolle Zukunft in Neuseeland gebracht hat. Mit dabei ist Josephs Mutter Lilian, die man nicht alleine zurücklassen wollte. Sie selbst allerdings wollte durchaus alleine zurückgelassen werden und hat kein Interesse daran, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. In den Bergen der Südinsel soll eine prosperierende Farm entstehen, mit einem Gemüsegarten, Schafherden und Milchkühen. Doch der Start ist holprig, vor allem weil Joseph an entscheidenden Stellen nicht auf den Rat anderer hört. Neue Hoffnung scheint es zu geben, als Joseph beim Graben eines Teichs (in dem er Forellen halten will, obwohl ihm alle sagen, dass Forellen fließendes Wasser brauchen) ein vielversprechendes Glitzern im Wasser entdeckt, das er als Gold erkennt. „Die Farbe“, wegen der die Männer in Horden nach Neuseeland kommen, alle in der Hoffnung, den ganz großen Fund zu machen. Nachdem die ersten Krumen Gold gewonnen sind, kann ihn nichts mehr aufhalten.
Neuseeland
Eleanor Catton: The Rehearsal
„Masks or faces? That’s what I keep asking myself. Masks or faces?“
Eleanor Catton dürfte vielen aufgrund ihres Romans Die Gestirne bekannt sein, für den sie 2013 den Man Booker Prize bekam und der im Winter 2015 auch in deutscher Übersetzung recht erfolgreich war. Diesem Erfolg ist es wohl auch zu verdanken, dass nun auch ihr Erstling The Rehearsal im Taschenbuch unter dem Titel Die Anatomie des Erwachens erschienen ist.
Der Roman hat im Wesentlichen zwei Handlungsstränge. Einer davon ist einer Gruppe von Mädchen gewidmet, die alle die gleiche Highschool besuchen und (zumindest größtenteils) Saxophon-Unterricht bei der gleichen Lehrerin haben. Eine von ihnen, Victoria, hat eine kürzlich aufgedeckte Affäre mit Mr Saladin, dem Leiter der Schulband. Da sie vorübergehend suspendiert ist, bekommt ihre kleine Schwester Isolde alle Aufmerksamkeit ab, die negative wie die positive. Der zweite Handlungsstrang konzentriert sich auf Stanley, einen Jungen, der gerade die Schule beendet hat und nun das Glück hatte, einen der begehrten Plätze an der örtlichen Schauspielschule zu bekommen. Die Handlung deckt in etwa ein Jahr ab, in dem an der Schule die ersten Übungen durchgeführt werden, sich die ersten persönlichen Verstrickungen entwicklen und schließlich für die große Abschlussaufführung geprobt wird.
Eleanor Catton: Die Gestirne
„Es fügt sich alles zusammen. Nur durchschaue ich es noch nicht. Das Bild.“
1866 treffen in einem Hotel in der neuseeländischen Goldgräberstadt Hokitika dreizehn sehr unterschiedliche Männer aufeinander. Unter ihnen ist Neuankömmling Walter Moody, studierter Anwalt aus Schottland, der jetzt sein Glück auf den Goldfeldern versuchen will. Schnell merkt er, dass er in der Runde nicht sehr willkommen ist und die anwesenden Männer ihm sehr misstrauisch gegenüber stehen. Nach und nach stellt sich heraus: Was bei diesem Treffen verhandelt werden soll, ist nicht weniger als ein Mord.
Denn nur kurze Zeit vor Moodys Ankunft ist der Einsiedler Crosbie Wells tot in seiner Hütte aufgefunden worden. Totgesoffen, dachte man erst. Doch nachdem in seinem unscheinbaren Besitz ein wahrer Schatz entdeckt wird und eine nie erwähnte Ehefrau Besitzansprüche erhebt, verdichten sich die Anzeichen, dass möglicherweise jemand nachgeholfen hat. Und immer wieder steht der Name Francis Carver im Raum. Carver, der sein eigenes Kind getötet haben soll, der unter falschen Namen betrügerische Geschäfte abwickelt und mit einer miesen Masche einen hochrangigen Politiker erpresst. Carver, auf dessen Schiff Godspeed Moody an diesem Tag nach Hokitika gekommen ist. Das, was er während seiner Überfahrt auf diesem Schiff gesehen hat, ist so unaussprechlich grausam, dass er erst spät in der Geschichte den Mut findet, davon zu berichten.
Der Roman ist außergewöhnlich konzipiert. Die Erzählung springt immer wieder aus dem Kaminzimmer des Hotels hinein in die Geschehnisse und wieder zurück, bis jeder der Anwesenden das gesagt hat, was er zur Klärung der ganzen Angelegenheit beizutragen hat. So ergibt sich nach und nach ein Bild des Falles und das Bild Carvers, der tatsächlich der Satan in Person zu sein scheint. Der Klappentext lässt eine weit mystischere und romantischere Erzählung vermuten, als es der Fall ist.
Die titelgebenden Gestirne spielen, zumindest in den ersten beiden Dritteln des Buchs, eher eine untergeordnete Rolle. Man kann ihr Wirken als eine weitere Bedeutungsebene lesen oder man kann es lassen, dann hat man einen wirklich spannenden Goldgräber-Krimi, der einen immer weiter in seinen Sog bringt. Im letzten Teil des Buches allerdings kommt den Gestirnen dann eine weitaus größere Bedeutung zu. Teilen zwei Personen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort geboren wurden, auch ein Schicksal? Fühlen sie, was der andere fühlt? Wenn es nach Catton geht, ja. Und das ist mir persönlich leider schon zu viel magischer Realismus, da steig ich aus. Magische Magie ist okay und realistischer Realismus noch besser, magischen Realismus kann ich echt nicht leiden. Und das hat mir die Auflösung des Romans dann ein bisschen kaputt gemacht, vor allem, nachdem ich die Geschichte bis zur Hälfte wirklich geliebt habe und mich schon geärgert hatte, dass ich scheinbar voreilig Witzels manisch-depressiven Teenager zu meinem Lieblingsbuch 2015 erkoren hatte.
Trotzdem ist das hier ein wirklich gelungener Roman, selten klug konstruiert und herausragend geschrieben. Und vor allem so spannend, dass man gar nicht mehr aufhören will mit dem Lesen.
Wer mal reingucken möchte oder Hintergrundinfos sucht, findet bei Cattons deutschem Verlag btb ein 44-seitiges Magazin. Hinweis für die Hörbuch-Hörer: In besagtem Magazin gibt es auch eine Liste der handelnden Personen. Ihr werdet sie brauchen. Im Buch ist sie sowieso drin.
Noch ein Hinweis für die Hörbuch-Hörer: Gelesen wird der Roman von Sascha Rotermund und das sehr gut. Allerdings gibt es einige Fehler in der Produktion, die dazu führen, dass Sätze wiederholt werden. Das irritiert, ist aber selten. Wer die tausend Seiten nicht lesen möchte, kann das alles also auch gut hören.
Eleanor Catton: Die Gestirne. Übersetzt von Melanie Walz. Gelesen von Sascha Rotermund. Der Hörverlag 2015. ca. € 24,99, 30 Stunden, 43 Minuten. Originalausgabe: The Luminaries. Granta Books 2013. Deutsche Erstausgabe: Die Gestirne. btb 2015. 1036 Seiten, € 24,99.
Das Zitat stammt von Seite 942 der deutschen Ausgabe.