Pestilenz und Phantasie – „Gemeinschaft der Aussätzigen“ von Julia Blackburn

1410 wird in einem kleinen Küstenort in England eine Meerjungfrau angespült. Ihr Finder glaubt sie tot und will sie beerdigen, doch als er mit Spaten und Hilfe zurückkehrt, ist von der sagenhaften Gestalt nur noch eine schwarze Locke übrig. Dennoch hebt man ein Grab am Strand aus und setzt die Haarsträhne bei. Von da an passieren wunderliche Dinge im Dorf. Ein Kind mit einem Fischkopf wird geboren, Blinde können wieder sehen und einige Einwohner haben plötzlich die Vision, nach Jerusalem reisen zu müssen.

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Erzählt wird das alles von einer Reflektorfigur, die von den Handelnden selbst gar nicht gesehen oder gehört wird. Nur eine Katze nimmt sie hin und wieder wahr. Diese Person lebt in der Gegenwart und nutzt das Dorf als Rückzugsort, wenn sie aus ihrem Leben fliehen will und es anders nicht kann. Es bleibt unklar, ob sie das Dorf als Ziel einer Phantasiereise nutzt, ob sie sich in Halluzinationen tatsächlich im tiefsten Mittelalter wähnt, oder ob die Reise in die Vergangenheit sogar eine Art Rückführung ist.

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Barbara Tuchman: Der ferne Spiegel

spiegel„Aber auch wenn die Straßen das Reich der Gesetzlosen sind und Überfälle zum Alltag gehören, ist das normale Leben unvergänglich wie Unkraut.“

Der ferne Spiegel ist erstmals 1980 in Deutschland verlegt worden und war auch 2010 offenbar noch populär genug, um bei Pantheon erneut zu erscheinen – ein moderner Klassiker der populären Geschichtssschreibung. Die Autorin legt ein Gesamtbild des 14. Jahrhunderts vor mit Fokus auf das heutige Frankreich. Sie folgt dem Leben von Enguerrand de Coucy VII, einem Ritter aus der Picardie, der von 1339 bis 1397 lebte.

Das Jahrhundert, in dem er lebte, war ein sehr bewegtes. Neben dem Hundertjährigen Krieg tobte ein erbitterter Streit um die Frage, wer der legitime Papst sei, es wurden Kreuzzüge geführt und die Pest forderte in mehreren Wellen ihre Opfer. Und zwischen all dem gab es natürlich immer noch das ganz normale Leben der gemeinen Bevölkerung.

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