„Es fügt sich alles zusammen. Nur durchschaue ich es noch nicht. Das Bild.“
1866 treffen in einem Hotel in der neuseeländischen Goldgräberstadt Hokitika dreizehn sehr unterschiedliche Männer aufeinander. Unter ihnen ist Neuankömmling Walter Moody, studierter Anwalt aus Schottland, der jetzt sein Glück auf den Goldfeldern versuchen will. Schnell merkt er, dass er in der Runde nicht sehr willkommen ist und die anwesenden Männer ihm sehr misstrauisch gegenüber stehen. Nach und nach stellt sich heraus: Was bei diesem Treffen verhandelt werden soll, ist nicht weniger als ein Mord.
Denn nur kurze Zeit vor Moodys Ankunft ist der Einsiedler Crosbie Wells tot in seiner Hütte aufgefunden worden. Totgesoffen, dachte man erst. Doch nachdem in seinem unscheinbaren Besitz ein wahrer Schatz entdeckt wird und eine nie erwähnte Ehefrau Besitzansprüche erhebt, verdichten sich die Anzeichen, dass möglicherweise jemand nachgeholfen hat. Und immer wieder steht der Name Francis Carver im Raum. Carver, der sein eigenes Kind getötet haben soll, der unter falschen Namen betrügerische Geschäfte abwickelt und mit einer miesen Masche einen hochrangigen Politiker erpresst. Carver, auf dessen Schiff Godspeed Moody an diesem Tag nach Hokitika gekommen ist. Das, was er während seiner Überfahrt auf diesem Schiff gesehen hat, ist so unaussprechlich grausam, dass er erst spät in der Geschichte den Mut findet, davon zu berichten.
Der Roman ist außergewöhnlich konzipiert. Die Erzählung springt immer wieder aus dem Kaminzimmer des Hotels hinein in die Geschehnisse und wieder zurück, bis jeder der Anwesenden das gesagt hat, was er zur Klärung der ganzen Angelegenheit beizutragen hat. So ergibt sich nach und nach ein Bild des Falles und das Bild Carvers, der tatsächlich der Satan in Person zu sein scheint. Der Klappentext lässt eine weit mystischere und romantischere Erzählung vermuten, als es der Fall ist.
Die titelgebenden Gestirne spielen, zumindest in den ersten beiden Dritteln des Buchs, eher eine untergeordnete Rolle. Man kann ihr Wirken als eine weitere Bedeutungsebene lesen oder man kann es lassen, dann hat man einen wirklich spannenden Goldgräber-Krimi, der einen immer weiter in seinen Sog bringt. Im letzten Teil des Buches allerdings kommt den Gestirnen dann eine weitaus größere Bedeutung zu. Teilen zwei Personen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort geboren wurden, auch ein Schicksal? Fühlen sie, was der andere fühlt? Wenn es nach Catton geht, ja. Und das ist mir persönlich leider schon zu viel magischer Realismus, da steig ich aus. Magische Magie ist okay und realistischer Realismus noch besser, magischen Realismus kann ich echt nicht leiden. Und das hat mir die Auflösung des Romans dann ein bisschen kaputt gemacht, vor allem, nachdem ich die Geschichte bis zur Hälfte wirklich geliebt habe und mich schon geärgert hatte, dass ich scheinbar voreilig Witzels manisch-depressiven Teenager zu meinem Lieblingsbuch 2015 erkoren hatte.
Trotzdem ist das hier ein wirklich gelungener Roman, selten klug konstruiert und herausragend geschrieben. Und vor allem so spannend, dass man gar nicht mehr aufhören will mit dem Lesen.
Wer mal reingucken möchte oder Hintergrundinfos sucht, findet bei Cattons deutschem Verlag btb ein 44-seitiges Magazin. Hinweis für die Hörbuch-Hörer: In besagtem Magazin gibt es auch eine Liste der handelnden Personen. Ihr werdet sie brauchen. Im Buch ist sie sowieso drin.
Noch ein Hinweis für die Hörbuch-Hörer: Gelesen wird der Roman von Sascha Rotermund und das sehr gut. Allerdings gibt es einige Fehler in der Produktion, die dazu führen, dass Sätze wiederholt werden. Das irritiert, ist aber selten. Wer die tausend Seiten nicht lesen möchte, kann das alles also auch gut hören.
Eleanor Catton: Die Gestirne. Übersetzt von Melanie Walz. Gelesen von Sascha Rotermund. Der Hörverlag 2015. ca. € 24,99, 30 Stunden, 43 Minuten. Originalausgabe: The Luminaries. Granta Books 2013. Deutsche Erstausgabe: Die Gestirne. btb 2015. 1036 Seiten, € 24,99.
Das Zitat stammt von Seite 942 der deutschen Ausgabe.