Das grausame Ende einer ganzen Welt – „So war’s eben“ von Gabriele Tergit

Tergit nimmt sich in ihrem dritten großen Gesellschaftsroman einiges vor. Sie portraitiert die jüdische Berliner Gesellschaft in Ost- und Westberlin, ihre Glanzzeit, ihre Verfolgung, das Elend und das Exil. Mehr als 70 Personen sind in den Dramatis Personae I und II aufgelistet: Die Familien Stern und Kollmann, Mayers und Jacobys, der deutsche General von Rumke und ein buntes Gemisch aus „Figuren am Rande“. Aufstrebende Journalistinnen tummeln sich in ihren Reihen neben etablierten Regisseuren, feinen Damen und angehenden Revolutionären, Internationalisten und Erzkonservativen.

Der Roman beginnt noch während des Kaiserreichs mit dem Kapitel „Damentee in den neunziger Jahren“. Wie auch bei den Effingers besteht Tergits Romanpersonal zunächst vor allem aus der „feinen Gesellschaft“, die von der Autorin mit einem deutlichen Augenzwinkern charakterisiert wird. Die familiären und gesellschaftlichen Verflechtungen sind das wichtigste in diesen Kreisen und das ganze Streben der Frauen gilt dem guten Eindruck. Während die Männer Karriere machen, ist der gesellschaftliche Teil ihr Beitrag zum Erfolg der Familie. Ein verpatzter Damentee ist da schon höchst blamabel. Dass einige von ihnen in absehbarer Zeit Teile der mondänen Wohnungen vermieten müssen, um sich auch nur über Wasser halten zu können, ahnt da noch niemand. Doch längst nicht alle schweben durch diese erlauchten Kreise. Tergit schildert nicht nur das Leben der reichen, sondern auch der ganz bescheiden und ganz durchschnittlich lebenden Familien der Zeit, mit all ihren Brüchen, Hoffnungen und Sorgen.

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Was auf den Überlebenden lastet – „Fugitive Pieces“ von Anne Michaels

Jakob Beer, Kind polnischer Juden, ist im Alter von sieben noch so klein und schmächtig, dass er sich problemlos in einem Schrank verstecken kann. Von dort aus wird er Zeuge, wie seine Eltern von Wehrmachts-Soldaten ermordet werden und seine ältere Schwester Bella verschleppt wird. Tagelang stolpert er durch den Wald, bis er Athos in die Arme läuft, einem griechischen Archäologen, der das prähistorische Dorf Biskupin ausgräbt. Er wird sein Retter und Ziehvater. Jakob wächst bei Athos auf der Insel Zakynthos auf, lernt Griechisch, Englisch und die Grundlagen der Geographie und hofft Jahr um Jahr, irgendwo eine Spur seiner Schwester zu finden, die vielleicht doch überlebt haben könnte.

„While I was living with Athos on Zakynthos, learning Greek and English, learning geology, geography, and poetry, Jews were filling the corners and crakcs of Europe, every available space. They buried themselves in strange graves, any space that would fir their bodies, absorbing more room than war allotted them in the world.“

Auch in späteren Jahren, bis weit in sein Erwachsenenalter hinein, will Jakob sich kaum an die Jahre seiner Kindheit erinnern, an die Fassungslosigkeit und die Verzweiflung seiner Eltern. Lieber stürzt er sich in die Geschichte, befasst sich mit lange verschwunden Kulturen, als die eigene Vergangenheit anzurühren. Er findet Ausdruck und Trost in der Poesie und wird ein anerkannter und bekannter Lyriker. Doch seine Vergangenheit kommt ihm immer wieder dazwischen, die nicht bewältigbare Trauer um seine verlorene Schwester zerstört sogar eine langjährige Beziehung.

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