Ein Hörspiel aus tausend Stimmen – Unendliches Spiel

Ich hatte ja vor einiger Zeit schon auf das Projekt Unendliches Spiel aufmerksam gemacht. Bei diesem Projekt wird jede Seite von David Foster Wallaces Unendlicher Spaß von einem anderen Sprecher eingelesen und zwar von Laien, die zu Hause vorm Computer sitzen. Die Macher versprechen, alles anzunehmen, was „einigermaßen verständlich“ ist. Auf der Website des Projekts kann man sich eine Seite aussuchen, einlesen und einschicken. Anschließend werden diese Mini-Lesungen zusammengefügt und mit Musik unterlegt, die von der „Goldenen Maschine“, einem analogen Synthesizer komponiert wird.

Die ersten rund 400 Seiten kann man sich mittlerweile anhören und die einzelnen Dateien auch kostenlos herunterladen. Derzeit sind es ca. 20 Stunden, insgesamt rechnen die Macher mit 80 Stunden reinem Text und 100 Stunden mit Musik.

Das Ergebnis ist tatsächlich spannend. Der Text wurde nicht überarbeitet, das heißt die einzelnen Sprecher bekommen keine abgeschlossenen Sätze oder auch nur Wörter. Die Stimme wechselt mittendrin, manchmal auch zwischen zwei Silben. Unterlegt wird das ganze von Musik, die ein Zufallsprodukt ist und sehr sphärisch klingt. Für mich mitunter nervig, ich muss es zugeben. Das Projekt finde ich nach wie vor sehr spannend, allerdings bleiben bei dieser Vielzahl an Sprechern Qualitätsschwankungen natürlich nicht aus und wie angenehm man eine Stimme empfindet ist ja auch völlig subjektiv. In jedem Fall fordert der Wechsel der Sprecher so viel Aufmerksamkeit von mir, dass es fast unmöglich wird, dem ohnehin irrsinnig komplexen Aufbau des Romans zu folgen. Aber das Ziel des Projekt war ja auch nie ein Hörbuch, das man nett beim Autofahren hören kann.

Wer noch was dazu beitragen möchte, hat noch knapp 100 Seiten Chance. Für die Fertigstellung werden noch mehere Monate kalkuliert, aber einen ersten Eindruck gibt es schon jetzt bei Unendliches Spiel.

Unendlicher Spaß – das Hörspiel zum Mitmachen

David Foster Wallaces Roman Unendlicher Spaß als Hörspiel umzusetzen, klingt kompliziert genug. Es mit mehr als 1.500 Sprechern zu realisieren eigentlich unmöglich.

9783462041125Andreas Ammer macht es trotzdem. Über die Seite unendlichesspiel.de können sich alle, die wollen, eine Seite des Romans reservieren, einlesen und damit Teil dieses Riesenprojekts werden. Eine dafür gebaute „Goldene Maschine“ komponiert dazu eine unendliche Musik, die später die Lesungen unterlegen wird. Die zahlreichen Anmerkungen und Fußnoten übernimmt Übersetzer Ulrich Blumenbach. 189 Szenen umfasst der Roman, sobald eine fertig ist, kann man sie auf der Seite anhören. Die Macher rechnen damit, dass das Hörspiel am Ende ca. 100 Stunden dauern wird und bezeichnen es vermutlich zurecht als „das größte Hörspiel aller Zeiten“.

Die große Chance für alle, die immer schon mal HörbuchsprecherIn sein wollten oder einfach David Foster Wallace lieben. Macht jemand von euch mit?

Deutscher Hörbuchpreis 2016

Ich sag’s ja – die Literaturpreise sind aus dem Winterschlaf erwacht. Jetzt sind die Preisträger des Deutschen Hörbuchpreises bekannt gegeben worden und das sind folgende Produktionen (die Links führen zur jeweiligen Seite beim Hörbuchpreis mit Hörprobe und Jury-Begründung):

Beste Interpretin: Sophie Rois für Baba Dunjas letzte Liebe (Autorin: Alina Bronsky)

Bester Interpret: Lars Eidinger für Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache (Autor: David Foster Wallace)

Bestes Hörspiel: Wir, was sicher ein herausragendes Hörspiel ist, aber leider nicht mein geliebter Tristram Shandy, obwohl der auch nominiert war

Bestes Sachhörbuch: Deutschland. Erinnerungen einer Nation, geschrieben von Neil MacGregor und gelesen von Burghart Klaußner

Beste Unterhaltung: Tante Poldi und die sizilianischen Löwen, geschrieben von Mario Giordano und gelesen von Philipp Moog

Beste verlegerische LeistungDie Quellen sprechen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, eine Produktion des BR, erschienen beim Hörverlag

Die Bekanntgabe der Kategorie bestes Kinderhörbuch folgt in der kommenden Woche, die Gewinner des Sonderpreises stehen aber schon fest – er geht dieses Jahr an Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich, den meisten besser bekannt als Justus, Bob und Peter von den drei ???.

Offiziell verliehen wird der Preis erst am 08. März, dann kann man aber auch live im Radio zuhören. Und so gibt man den Gewinnern immerhin die Chance, sich passende Garderobe zuzulegen.

Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman – das Hörspiel

Leben und Ansichten von Tristram Shandy Gentleman von Laurence Sterne

„Schrifstellerei, so sie denn recht betrieben, ist nichts anderes als Konversation.“

Während der Weihnachtsfeiertage lief im Deutschlandfunk eine Hörspielbearbeitung von Tristram Shandy und ich hatte endlich, endlich mal wieder Zeit, ein Hörspiel mit mehreren Folgen im Radio zu hören. Das letzte mal ist mir das 2005 mit irgendwas von Pratchett gelungen. Und es hat sich mehr als gelohnt.

Tristram Shandy wird oft als einer der wichtigsten Werke der neueren englischen Literatur bezeichnet. Der Roman als Gattung steckte noch in den Kinderschuhen, als Laurence Sterne schon mutig voranschritt und jede Genre-Grenze ignorierte. Zeitgenossen wie Lessing fanden sehr viel Lob für dieses Werk und auch spätere AutorInnen wie James Joyce und Virginia Woolf zeigten sich beeindruckt vom Erfindungsreichtum Sternes. Trotzdem liest heute fast niemand Tristram Shandy, es sei denn, man muss. Und es müssen fast nur Anglistik-StudentInnen – daher auch mein (schmerzhafter) Erstkontakt mit dem Buch.

Veröffentlicht wurde der Roman erstmals von 1759 bis 1767 in neun Teilen, in heutigen Gesamtausgaben sind das ca. 850 Seiten. Die Handlung ist recht unspektakulär. Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman ist der volle Titel und eben darum geht es auch. Allerdings wird dieses Leben nicht in einer stringenten Folge erzählt sondern der Erzähler, Tristram selbst, springt vor und zurück, zu Nebenschauplätzen und wieder zur eigentlichen Handlung. Im ersten Teil erzählt er von seiner Zeugung und von da an dauert es noch drei volle Teile, bis er geboren wird. Zwischendrin erzählt er viel von seinem Onkel Toby, der im Krieg eine Verletzung des Schambeins erlitten hat, infolgedessen eine Leidenschaft für Festungsbau entwickelt hat und auf einem Stück Land hinterm Haus der Shandys an einer eigenen Festung arbeitet, in der er bedeutende Schlachten des siebenjährigen Krieges nachstellt. Walter Shandy, Tristrams Vater, ergeht sich vor allem in philosophischen Betrachtungen und bedauert nichts mehr als die Tatsache, dass Tristrams Nase bei der Geburt so platt gedrückt wurde, dass aus dem Sohn eigentlich nichts mehr werden kann. Sowohl die Leistenverletzung als auch das Nasen-Thema bieten Boden für reichlich Witze, die im 18. Jahrhunderts wahrscheinlich der gewagte Gipfel der Frivolität waren, fast 250 Jahre später aber… nun ja, ermüdend sind.

Was die Hörspielbearbeitung in diesem Fall leistet, ist tatsächlich großartig. Es wird rabiat gekürzt, und so schwierig ich das sonst finde, ist es in diesem Fall der Weg, diesen anstrengenden Koloss in einen großen Spaß zu verwandeln. Die Inszenierung lebt von den Sprecherinnen und Sprechern, aber auch von den externen Stimmen die eingespielt werden – der Übersetzer greift hin und wieder erklärend ein, ein Kinderarzt spricht über die mögliche Notwendigkeit einer Beschneidung und ein Theologe erklärt, warum und wie man exkommuniziert werden kann. Das Hörspiel geht auf eine gewisse Distanz zum Ausgangswerk, macht aber auch begreiflich, warum dieser Roman über Jahrhunderte so viele begeistern konnte. So deutlich auch gekürzt wird, bleibt doch die Essenz des Romans bestehen und arbeitet darüberhinaus den Witz und den Einfallsreichtum heraus, der sonst zwischen den ganzen Flachwitzen leicht verloren geht.

Wer die Eddie Dickens-Reihe kennt und mag, wird dieses Hörspiel lieben. Wer sie nicht kennt, sollte das ändern, aber auf jeden Fall auch Tristram Shandy hören. Uneingeschränkte Empfehlung!

Derzeit kann man das Hörspiel übrigens noch über untenstehenden Link zum BR downloaden.


Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Übersetzt von Michael Walter. Bearbeitung und Regie: Karl Bruckmaier. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunk. CD-Edition: der Hörverlag 2015. ca 7,5 Stunden, ca. € 39,99. Michael Walters Übersetzung ist in Buchform 2015 bei Galiani erschienen, 848 Seiten, € 24,99.

Das Zitat stammt aus Teil 2, Kapitel 11.