Mörderische Geheimnisse – „Heilige und andere Tote“ von Jess Kidd

Cathal Flood macht es sich und anderen nicht leicht. Ein Mann von beeindruckender Statur und – wenn er will – charmantem Auftreten war er einst ein begnadeter Künstler. Nun lebt er alleine in seinem großzügigen Anwesen Bridlemere im Westen Londons, das vor lauter Krempel aus allen Nähten platzt. Im Garten stapelt sich der Schrott, im Erdgeschoss kann man kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen und das Obergeschoss kann man gar nicht erst betreten, weil eine gigantische Wand alter National Geographic-Ausgaben den Zugang blockiert.

In dieses Chaos marschiert nun Maud. Sie ist damit beauftragt, den alten Mann und sein Haus auf Vordermann zu bringen. Keine ungefährliche Aufgabe – den letzten, der das versucht hat, hat Cathal mit einem Hurling-Schläger in die Flucht geschlagen. Doch Maud ist nicht gewillt, so schnell aufzugeben. Und sie hat sich Unterstützung mitgebracht: Maud weiß sich in der Gesellschaft von Heiligen. Sie warten auf sie an der Bushaltestelle, sitzen mit am Küchentisch, haben immer die besten Ratschläge parat und warnen, wenn Gefahr droht. Maud kennt sie alle und hat so Unterstützung in jeder denkbaren Lebenslage. Und wo die Heiligen nicht helfen können, gibt es ihre Nachbarin und Freundin Renata. Die hat zwar seit etlichen Jahren das Haus nicht mehr verlassen, weiß sich und Maud aber trotzdem aus jeder Patsche zu helfen und hat dank jahrelangem Krimi-Konsum eine ausgeprägte Spürnase. Die wird sie auch brauchen, denn Maud beginnt schnell zu ahnen, dass sich hinter Cathals schroffer Fassade nicht etwa ein weicher Kern, sondern ein kaltblütiger Mörder verbirgt. Sie hat ihn im Verdacht, nicht nur seine Frau umgebracht zu haben, sondern auch ein Mädchen, das vor Jahrzehnten vermisst gemeldet wurde und nie wieder aufgetaucht ist.

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Die Bürden vergangener Leben – „The Hundred Secret Senses“ von Amy Tan

Olivia Laguni wächst als Tochter eines chinesischen Immimgranten und einer US-Amerikanerin in den USA auf. Über ihre halb-chinesische Herkunft macht sie sich wenig Gedanken und sie beeinflusst ihren Alltag kaum. Doch als ihr Vater jung auf dem Sterbebett liegt, gesteht er seiner Frau, in China bereits eine Tochter zu haben. Und diese will er nun unbedingt in den USA wissen. Er stirbt, bevor dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann, doch seine Frau setzt trotzdem alles daran, Kwan aufzutreiben und zu ihr zu holen. Olivia ist nicht begeistert von der neuen und deutlich älteren Schwester, mit der sie das Zimmer teilen muss und die wegen ihrer fremden Art und Sprache ausgelacht und gehänselt wird. Doch Kwan überschüttet Olivia mit Liebe und Fürsorge. Und hält sie zu ihrem Ärger abends mit Geistergeschichten wach. Denn Kwan ist überzeugt, „Yin-Augen“ zu haben, mit denen sie Geister sehen kann und sie ist auch sicher, sich an ein altes Leben zu erinnern, in dem sie und Olivia sich ebenfalls kannten.

Another wife? A daughter in China? We were a modern American family. We spoke English. Sure, we ate Chinese food, but take-out, like everyone else.“

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Der feine Unterschied zwischen tot und begraben – „Sing, Unburied, Sing“ von Jesmyn Ward

Es ist ein ungewöhnlicher Roadtrip, zu dem Leonie mit ihren Kindern Jojo und Kyla aufbricht. Endlich soll Michael, ihr Freund und Vater der Kinder, aus dem Gefängnis entlassen werden. Mit Leonies Freundin Misty im Schlepptau macht die Familie sich auf den Weg in den Norden Mississippis, um ihn in der Freiheit willkommen zu heißen.

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Die Beziehung zwischen Leonie und ihren Kindern ist zumindest angespannt. Seit Michael im Gefängnis ist, leben die drei bei Leonies Eltern, die für Jojo und Kyla zu Ersatzeltern geworden sind. Unterstützung von Michaels Eltern können sie nicht erwarten. Leonie ist schwarz, Michael ist es nicht, und dieser Umstand reicht, um die Beziehung und die daraus entstandenen Kinder von vornherein nicht zu akzeptieren. Ohnehin ist die Situation zwischen den beiden Familien deutlich angespannt, seit Michaels Cousin vor etlichen Jahren Leonies Bruder Given erschossen hat. Trotz anderslautenden Zeugenaussagen wurde die Tat damals als tragischer Jagdunfall zu den Akten gelegt.

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