Variationen von Selbsthass – „Damenbart“ von Sarah Pines

In ihrem Debüt-Band Damenbart erzählt Pines Geschichten von unglücklichen, einsamen Menschen. Sie leben in Los Angeles und Buffalo, urlauben in Bacharach und verlieben sich in Griechenland. Die meisten von ihnen sind Frauen, alle sind verzweifelt. Die Texte lesen sich dabei ganz unterschiedlich. Nüchtern erzählt Pines von einer Frau, der Trägerin des titelgebenden Damenbarts, die an ihrem Geburtstag versetzt wird und sich aus lauter Verzweiflung die Nase bricht. Sachlich und ein wenig wehmütig wird die Geschichte der Schauspielerin Peg erzählt, ein schwarz-weißer Filmstar, der den Übergang in den Farbfilm nicht schafft – zu rot ist ihr Gesicht, zu hell ihre Augen – und sich vom Hollywood-Schriftzug stürzt. Gewalttätig und tragisch enden fast alle Geschichten. Gemeinsam haben sie einen Stil, der mit perfekt abgestimmten und teilweise sehr überraschenden aber überzeugenden Bildern überzeugt.

So werden die Texte auch nicht langweilig, obwohl sie doch einiges gemeinsam haben. Viele der Figuren sind mehr oder weniger abgehalfterte Schauspielerinnen, viele hassen ihre Ehemänner und trösten sich mit Liebhabern. Mit denen sind sie aber auch nicht zufrieden. Ein wenig fragt man sich, warum keine einzige von ihnen versucht, eine andere Erfüllung in ihrem Leben zu finden. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten von ihnen auch mit sich selbst nicht zufrieden sind und unter ihrem Selbsthass noch mehr leider als unter ihrer Einsamkeit. Sie stehen vor dem Spiegel und hassen sich dafür, dass alle ihre Kleider kneifen und ihre Haut nie wieder rosig und jung sein wird. Sie sind abgehängt von der Welt, von Farbfilm oder Netflix, verhöhnt von den Affären ihrer Männer, gescheiterte Figuren, die doch nur träge auf dem Sofa liegen. Wenn sie einkaufen fahren, ziehen sie sich nicht mehr richtig an, sondern stopfen nur schnell den Saum des Nachthemds in die Jogginghose. Unter dem Mantel sieht das keiner und für mehr ist keine Energie mehr da.

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Alpträume aus der Nähmaschine – „Das Alphabet der Puppen“ von Camilla Grudova

Nähmaschinen ziehen sich als roter Faden durch die phantastische Geschichtensammlung Das Alphabet der Puppen, der Debüt-Veröffentlichung der kanadischen Autorin Camilla Grudova. Sie erscheinen als weibliche Domäne, nahezu durchgehend sind es Frauen und Mädchen, die an den Maschinen sitzen, die Rücken dauerhaft gekrümmt vom genauen Hinsehen in schlechtem Licht, von der eintönigen Arbeit. Gleich in der ersten Geschichte entdeckt Greta, dass sie sich auftrennen kann und dass unter ihrer Haut eine Form erscheint, die „die ideale Grundform für eine Nähmaschine“ ist.

Ganz so abgedreht geht es nicht weiter, zumindest wird niemand mehr beinahe zu einer Nähmaschine. Aber der Sphäre des Phantastischen bleibt Grudova treu. Viele ihrer Erzählungen greifen Märchenmotive auf, die an die Grimms erinnern oder an Andersen. Aber auch ihre modernen Adaptionen klingen durch. Manchmal erinnert der Ton sehr an die Märchenfassungen Angela Carters. Das ist es dann aber schon an Ähnlichkeiten. Grudova findet einen sehr eigenen Ton und eine sehr eigene Welt, in der sie ihre Figuren agieren lässt. Es scheint nicht immer dieselbe zu sein, aber die Dystopie ist ihnen gemein. Man weiß nicht, ob ihre Geschichten kurz vor der Apokalypse spielen oder Jahre danach, oder einfach in einer Realität die immer schon grauenhaft war.

„Ich war auf der Suche, es erschien mir unmöglich, dass diese Stadt der Fabriken, der Fachgeschäfte, diese Stadt, die alles in große Mengen herstellen konnte, nur einen wie mich produzierte.“

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Menschliche Abgründe – „Keiner Menschenseele kann man noch trauen“ von Flannery O’Connor

In den USA gilt Flannery O’Connor als eine literarische Größe, im deutschsprachigen Raum allerdings ist sie kaum bekannt. Mit Keiner Menschenseele kann man noch trauen liegen nun zehn Erzählungen in deutscher Übersetzung vor, die alle eins gemeinsam haben: sie sind abgrundtief böse und verstörend. O’Connors Erzählungen entstanden in den 50er-Jahren und sind angesiedelt im US-amerikanischen Süden, mitten im Bible Belt, wo die Menschen anständig und gottesfürchtig sind, bigott und rassistisch. O’Connor hat ein Gespür für Grenzen und überschreitet sie gekonnt, inhaltlich wie sprachlich. In ihrem Ton ist sie ebenso vulgär und verletzend wie ihre Figuren, was auch in der deutschen Übersetzung beibehalten wurde.

Die Geschichten sind allesamt von einer bissigen Ironie durchzogen und überraschen mit listigen Wendungen. Selbst wenn man spätestens nach der dritten Geschichte ahnt, dass keine einzige gut ausgehen wird, so gelingt der Autorin doch beinahe jedes mal eine überraschende Wendung. Da wird eine ganze Familie das Opfer einer kriminellen Bande, eine Braut wird bei der Hochzeitsreise kurzerhand an einer Raststätte ausgesetzt und ein junges Mädchen fällt auf einen Mann herein, der es nur auf ihre Prothese abgesehen hat.  

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Schwer zu tragen – „Reisen mit leichtem Gepäck“ von Tove Jansson

Die Schriftstellerin und Grafikerin Tove Jansson ist in Deutschland und der Welt vor allem wegen ihrer Mumins bekannt und beliebt. Doch auch jenseits der Grenzen des Mumintals hinterließ sie ein abwechslungsreiches schriftstellerisches Werk, das vor allem Erzählungen umfasst. Einige davon finden sich in deutscher Übersetzung im Band Reisen mit leichtem Gepäck.

Um das Reisen an sich geht es dabei nur in wenigen Texten. In der titelgebenden Erzählung trifft man auf einen Reisenden, der seinen Alltag hinter sich gelassen hat, keinerlei Erinnerungen mit sich nimmt und davon träumt, unbeschwert durch die Welt zu treiben. Seine Mitreisenden aber, die auch fern der Heimat verzweifelt an ihren Erinnerungen hängen, machen ihm da einen gehörigen Strich durch die Rechnung. 

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Für die Frau von heute – „Cuca“ von Alfonsina Storni

Die Schriftstellerin Alfonsina Storni, die im Tessin geboren wurde und den größten Teil ihres Lebens in Argentinien verbrachte, ist im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannt. Das zu ändern hat sich Hildegard Keller nun mit ihrer „Edition Maulhelden“ zur Aufgabe gemacht. Für diese Edition übersetzt sie seit einiger Zeit Texte aus dem sehr abwechslungsreichen Werk Stornis. In Lateinamerika ist Storni vor allem für ihre Lyrik bekannt, sie schrieb aber auch für Zeitschriften. Literaturkritik gehörte dabei ebenso zu ihrem Repertoire wie Reisereportagen und Kurzgeschichten.

Cuca enthält eine Auswahl all dieser Gattungen. Den Beginn bilden einige sehr unterschiedliche Erzählungen. Storni verarbeitet darin sowohl ihre Erfahrungen als Lehrerin, als auch Reiseeindrücke wie die tiefe Freundschaft zu einer Vogelspinne namens Catalina, die im Hotelzimmer der Erzählerin lebt. Ein wiederkehrendes Thema ist auch die gehobene und eigentlich schon abgehobene „bessere Gesellschaft“ von Buenos Aires. Storni beweist darin eine genaue Beobachtungsgabe und einen kritischen, reflektierten Blick.  Andere Texte wie der über die titelgebende Dame namens Cuca sind surreal und phantastisch. In ihren „Zugfensterheften“ notierte Storni Eindrücke einer Reise, die sie von Buenos Aires an der Ostküste bis nach Traful an der Grenze zu Chile unternahm. „Die Distanzen: Das ist Argentiniens Feind“ konstatierte die Autorin irgendwo auf der letzten Etappe hinter Bariloche. Aber immerhin bescherte die lange Reise ihr Einblicke in das Land und seine Leute von der öden Pampa bis zum mondänen Badeort an den Ufern des Correntoso-Sees, dessen Reiz auch Storni sich nicht entziehen konnte: „Eiskaltes Wasser, strahlende Sonne, das Paradies.“

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Kurze Runde

Heute gibt es eine kurze Runde durch drei Bücher: in Dismatria schildert die Autorin Igiaba Scego ihre Rassismus-Erfahrungen in Italien, Jonathan Lethem erzählt in Alan, der Glückspilz von Alltäglichem wie Absurdem und Dilek Güngör befasst sich in Ich bin Özlem mit den Identitäts-Fragen einer Tochter türkischer Eltern.

Entwurzelt

Dismatria und weitere Texte von Igiaba Scego

Die Autorin Igiaba Scego ist in Italien als Journalistin, Schriftstellerin und Rednerin bekannt. Dabei  gilt ihr Interesse vor allem dem Kolonialismus und dem Rassismus. Scego wurde in Italien geboren, ihre Eltern stammen allerdings aus Somalia. Somalia ist für sie vor allem das Land ihrer Mutter, das ihr ewig verschlossen bleibt, ausgedrückt in dem von ihr geprägten Begriff „Dismatria“. Für Scego selbst ist ein Leben in Somalia keine Option, zugleich aber fällt es ihr schwer, in Italien Heimat zu finden. Im Freiburger nonsolo Verlag sind nun drei ihrer Texte in deutscher Übersetzung erschienen, ergänzt durch ein ausführliches Vorwort der Romanistin Martha Kleinhans. Einen wenig beachteten Blickwinkel bietet dabei vor allem der Text „Als die Italiener keine Weißen waren“, der sich mit Ressentiments gegenüber italienischen Einwander*innen in den USA befasst und erneut verdeutlicht, wie subjektiv und bar jeder objektiven Grundlage rassistische Konstrukte sind.

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Mit dem Charme der Jahrhundertwende – „Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam“ von James M. Barrie

Barries populärste Figur Peter Pan kennen alle, wenn auch die wenigsten den Roman gelesen haben dürften. Das weitere Werk des Schotten trifft es noch härter. Zumindest in Deutschland wird es bisher mit nahezu völliger Missachtung gestraft und es sind kaum Texte von ihm übersetzt worden.

Barrie: Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam

In Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam stellt der Herausgeber Michael Klein nun 15 kürzere Prosa-Stücke des Autors vor, die ursprünglich vor allem in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt wurden. Die Texte erscheinen erstmals in deutscher Übersetzung. Seine Auswahl charakterisiert Barrie als humorvollen und feinfühligen Autor, der fast immer den richtigen Ton zwischen heiter und ernsthaft trifft. Seine Erzählungen kreisen oft um das Leben als Autor und Journalist. Im ersten Text beispielsweise ärgert sich ein Biograph wahnsinnig darüber, dass der Gegenstand der von ihm verfassten Biographie einfach nicht sterben will und stattdessen auf Gesellschaften munter die besten Anekdoten seines Buchs ausplaudert.

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Reso Tscheischwili: Die himmelblauen Berge

Der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist oft eine gute Gelegenheit, Literatur aus Ländern zu entdecken, von denen man exakt nichts weiß. In diesem Jahr ist es Georgien, ein Land, bei dem mir als einzige Autorin Nino Haratischwili einfällt. Dank Förderprogrammen ändert sich das ja in den Gastland-Jahren immer und so kommt mit Die himmelblauen Berge jetzt auch ein georgischer Klassiker auf den Markt, der in seiner Heimat aufgrund einer sehr populären Verfilmung den meisten ein Begriff ist.

Die Himmelblauen Berge

In diesem Roman versucht ein Autor, sein Manuskript bei einem Verlag unterzubringen. Das erweist sich als sehr komplizierte Angelegenheit, denn auch, wenn der Verlag dem Autor positiv gesonnen ist, gilt es doch, in dem staatseigenen Betrieb alle Regeln zu befolgen. Um über das Erscheinen des Romans zu entscheiden, muss eine Versammlung einberufen werden, bei der über die Qualität beraten werden soll, dazu aber müssen erst alle das Manuskript gelesen haben. Im Verlag verteilt existiert der Text in mindestens drei Fassungen, wenigstens eine davon noch unter dem alten Titel Die himmelblauen Brücken, zum Teil handschriftlich und kaum leserlich, zum Teil maschinengeschrieben. Da es weniger Manuskripte als Mitarbeiter gibt, wird der Text aufgeteilt, einige kennen nur den Anfang, andere nur die letzten zehn Seiten, Bruchstücke finden sich in Schubladen, in der Kantine und auf einem Müllhaufen im Hof. Die zuständigen Mitarbeiter sind in Urlaub, beim Militär, auf einer siebenmonatigen Dienstreise, auf einer Fortbildung unbekannter Dauer oder stecken im Aufzug fest. Statt sich mit dem Manuskript zu befassen, treibt sie die Frage um, ob es in diesem Jahr wohl Prämien gebe.

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Christopher Ecker: Andere Häfen

Als vor einigen Monaten der Mitteldeutsche Verlag ankündigte, im Herbst einen Band mit Erzählungen von Christopher Ecker zu veröffentlichen, war ich zumindest skeptisch. 87 Kurzgeschichten auf guten 200 Seiten? Klingt hart. Ist auch hart. Mein Lieblingsbuch von Christopher Ecker (und eines meiner Lieblingsbücher überhaupt) ist der über 1000 Seiten dicke Fahlmann und Ecker wäre nicht der erste Autor, der fantastische Romane aber gnadenlos blöde Kurzgeschichten schreibt. Nicht selten hört man ja, die wahre Qualität eines Autors ließe sich an den „Kleinen Formen“ messen.

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Ecker würde diese Qualitätsprüfung problemlos bestehen. Die Texte in diesem Buch unter einem Begriff zu subsumieren, ist eigentlich nicht möglich. Ich hatte gehofft, der Verlag würde „Kurzgeschichten“ unter den Titel schreiben oder „Erzählungen“. Hat er aber nicht. Kurze Texte sind es also. Einige dieser kurzen Texte sind wirklich klassische Kurzgeschichten, sowohl in Aufbau und Länge. Einige der Texte sind extrem kurz und bringen es kaum auf eine Seite, sind also eher Microfiction. In manchen Texten passiert auch so wenig, dass es eher Bilder als Erzählungen sind, vielleicht sogar Vignetten. Zum Glück kann Ecker so gut schreiben, dass die paar Sätze ausreichen, um Szenerien und Charaktere zu erschaffen, um Absurdität und Hoffnungslosigkeit auszudrücken. In vielen Texten ist es dann auch das Ausgelassene, das nicht Gesagte, was einen kalt erwischt und völlig umhaut.

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David Sedaris: Let’s Explore Diabetes with Owls

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„Der Wein ist zu teuer und sie sprechen zu schnell!“

David Sedaris ist eine späte Liebe von mir. Vor mindestens zehn Jahren hat eine Freundin mir Naked geschenkt, ich fand die ersten drei Seiten blöd und das Buch verschwand auf lange Zeit in meinem Bücherregal, wo ich es erst fünf Umzüge später zufällig wiederentdeckte. Was für eine Verschwendung!

David Sedaris ist einer der lustigsten Menschen der Welt. Die Geschichten die er erzählt, sind eigentlich nur Alltags-Episoden. Bei einer Australien-Reise füttert er einen Kookaburra, er versucht verzweifelt, eine ausgestopfte Eule als Geburtstaggeschenk für seinen Freund aufzutreiben, er muss zum Zahnarzt. Insgesamt sind 26 Erzählungen in diesem Buch versammelt, von der ich am meisten die liebe, in der Sedaris erzählt, wie er mit einem Sprachlernprogramm immer versucht, wenigstens ein paar Brocken der Sprache des Landes zu lernen, in das er reist („Easy, Tiger“), am meisten beeindruckt ihn offenbar oben genannter Satz aus dem Kapitel über Restaurantbesuche.

Kurzgeschichten im klassischen Sinn sollte man besser nicht erwarten, die kommen in diesem Buch auch vor, sind aber nicht der Schwerpunkt. Es geht, wie schon erwähnt, einfach nur um Episoden aus Sedaris Leben, oft Situationen, die jeder kennt. Aber er kann davon eben besser erzählen als jeder. Wenn ich in einer unsinnig langen Schlange auf Kaffee warte und darüber nachdenken kann, was Sedaris über unnötig lange Kaffee-Schlangen geschrieben hat („Now Hiring Friendly People“), macht es das ein bisschen besser.

Das Buch ist übersetzt worden, allerdings habe ich es nicht in der Übersetzung gelesen und kann deswegen nichts darüber sagen, wieviel Humor möglicherweise auf dem Weg verloren gegangen ist. Ich bin mir aber relativ sicher, dass Sedaris in jedweder Sprache lesenswert ist.


David Sedaris: Let’s Explore Diabetes with Owls. Abacus 2014, ca. 13,-. Originalausgabe Abacus 2013. Deutsche Taschenbuch-Ausgabe: Sprechen wir über Eulen und Diabetes. Heyne 2014. 288 Seiten, € 9,99. Übersetzt von Georg Deggerich. Deutsche Erstausgabe Blessing 2013.