Menschliche Makel – „Fault Lines“ von Nancy Huston

Vier Generationen verbindet Nancy Huston in Fault Lines durch ein gemeinsames Merkmal: Sie alle tragen das gleiche Muttermal, wenn auch an unterschiedlichen Stellen ihres Körpers. Der letzte in der Reihe, der sechsjährige Sol, trägt es an der Schläfe. Für seine Mutter ist das ein nicht akzeptabler Makel an ihrem sonst makellosen Sohn. Sie will es entfernen lassen, vorgeblich wegen der erhöhten Krebsgefahr. Doch so leicht lassen sich die verbindenden Elemente einer Familie nicht wegschneiden. Kurz nach der OP entwickelt Sol eine gefährliche Entzündung.

Sol ist eines von vier etwa sechsjährigen Kindern, deren Geschichten in diesem Roman erzählt werden. Von ihm aus geht Huston immer eine Generation zurück, über seinen Vater Randall, seine Großmutter Sadie und schließlich zu seiner Urgroßmutter Erra, deren Leben im Terrorregime des Nationalsozialismus begann. Sol lebt nun als überbehütetes Kind in den USA. Seine Eltern, besonders seine Mutter, erlauben ihm alles und feiern auch die kleinsten Erfolge. Dafür ist Sol nicht etwa dankbar, sondern wird zutiefst bösartig. Den Computer seiner Mutter nutzt er, um sich im Internet Videos von Enthauptungen und anderen Gräueltaten anzusehen.

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Trojaner im Bücherregal

Als 1933 Hitler an die Macht kam, begann ein erbitterter Kampf um die Informationshoheit, wie ihn wohl jedes totalitäre Regime kennt. Die Bücherverbrennungen von Werken nicht mehr genehmer Autor*innen waren nur ein kleiner Teil des Versuchs, jede unliebsame oder gar gefährliche Schrift aus dem Verkehr zu ziehen und nur noch das zu verbreiten, was auf Regime-Linie war. Nicht genehmigte Schriften herzustellen oder zu verbreiten wurde mühsam und gefährlich. Die Verurteilung und Hinrichtung von Mitgliedern der Weißen Rose ist ein besonders prominentes Beispiel für die drakonischen Strafen, die zu erwarten waren. Fortan brauchte es neben Mut auch eine Menge Kreativität und gut vernetzte Akteur*innen, um verbotene Schriften unters deutsche Volk zu bringen.

Große Namen als Tarnmantel

Eine besonders einfallsreiche Methode hierfür stellten die sogenannten Tarnschriften dar. Auf den ersten Blick wirkten diese schmalen Bücher und Hefte völlig harmlos, auf den zweiten aber enthielten sie brisantes Material. So konnte man unter dem Titel Lohnender Futterrübenanbau den Text „Das Zentralkomitee der KP an die werktätigen Bauern Deutschlands“ lesen und unter dem Titel Ratgeber für den Haus-, Schreber- und Siedler-Garten verbarg sich Dimitrows Bericht „Arbeiterklasse gegen Faschismus“ vom 7. Weltkongress der Komintern. Zunächst dienten die Tarnschriften vor allem der Kommunistischen Partei bei der Verbreitung eigener Materialien wie Berichten von Treffen und bei der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. Weiterhin betrieb die KPD Lesezirkel, in denen Grundlagentexte gelesen und diskutiert wurden. Auch diese mussten so gestaltet werden, dass ihr Besitz und Transport unauffällig waren.  Bald schon aber ging man auch dazu über, sich an eine breitere Bevölkerung zu richten und alle erreichbaren Kräfte gegen den Faschismus zu aktivieren.

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