Zum Schweigen gebracht – „Do Not Say We Have Nothing“ von Madeleine Thien

Li-ling, Tochter chinesischer Einwanderer, lebt mit ihrer Mutter in Vancouver. Ihr Vater hat sich 1989 bei einer Reise nach Hongkong vom Dach eines Hauses gestürzt. Den Schmerz kann Li-ling ihm nicht verzeihen. Nur wenig später taucht Ai-Ming in Vancouver auf. Sie ist die Tochter einer Familie, mit der Li-lings Vater eine lange Verbindung hatte und muss China wegen ihrer Beteiligung an Protesten auf dem Tiananmen-Patz verlassen. Während Li-ling fast völlig ahnungslos ist, warum ihre Eltern China verlassen haben, weiß Ai-Ming eine Menge darüber und erzählt ihr eine lange Geschichte über tiefe Freundschaften, die Liebe zur Musik und die Folgen der Kulturrevolution.

Die Verbindung von Ai-Ming und Li-ling besteht vor allem über ihre Väter, die in Shanghai gemeinsam am Konservatorium gearbeitet und studiert haben, bis die Kulturrevolution die Karriere der beiden beendete. Ai-Mings Vater Sparrow, einen Komponisten, traf es dabei härter. Er konnte sich mit der neuen Linie nicht anfreunden, wollte nicht abrücken von seinen großen Vorbildern in der klassischen Musik zugunsten einer volksnäheren Musik. Statt an seinen Kompositionen zu arbeiten, endet er in einer Fabrik, in der er die Einzelteile von Radios verlötet. Und damit kommt er noch glimpflich davon – etliche in seiner Familie landen als Rechtsabweichler in Arbeitslagern und kommen gar nicht oder als gebrochene Menschen zurück.

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Die Bürden vergangener Leben – „The Hundred Secret Senses“ von Amy Tan

Olivia Laguni wächst als Tochter eines chinesischen Immimgranten und einer US-Amerikanerin in den USA auf. Über ihre halb-chinesische Herkunft macht sie sich wenig Gedanken und sie beeinflusst ihren Alltag kaum. Doch als ihr Vater jung auf dem Sterbebett liegt, gesteht er seiner Frau, in China bereits eine Tochter zu haben. Und diese will er nun unbedingt in den USA wissen. Er stirbt, bevor dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann, doch seine Frau setzt trotzdem alles daran, Kwan aufzutreiben und zu ihr zu holen. Olivia ist nicht begeistert von der neuen und deutlich älteren Schwester, mit der sie das Zimmer teilen muss und die wegen ihrer fremden Art und Sprache ausgelacht und gehänselt wird. Doch Kwan überschüttet Olivia mit Liebe und Fürsorge. Und hält sie zu ihrem Ärger abends mit Geistergeschichten wach. Denn Kwan ist überzeugt, „Yin-Augen“ zu haben, mit denen sie Geister sehen kann und sie ist auch sicher, sich an ein altes Leben zu erinnern, in dem sie und Olivia sich ebenfalls kannten.

Another wife? A daughter in China? We were a modern American family. We spoke English. Sure, we ate Chinese food, but take-out, like everyone else.“

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Navigation in einer zerstörten Welt – „The Great Fire“ von Shirley Hazzard

Der Zweite Weltkrieg ist seit zwei Jahren vorbei, als Alfred Leith als Gast das Haus des Australiers Driscoll im japanischen Kure betritt. Leith hat auf britischer Seite gekämpft, hat Freunde sterben sehen und wurde selbst schwer verwundet. Davon allerdings hat er sich beinahe komplett erholt, als er nun, mit Orden behangen und mit Ehrerbietungen bedacht, seine Reise durch Asien antritt, wo er ein Buch beenden will. In Kure lernt er Helen und Ben kennen, die Kinder seiner Gastgeber. In ihrer Isolation sind die beiden stark aufeinander fixiert. Ben ist an Friedreich-Ataxie erkrankt, seine elfengleiche Schwester ist seine größte Stütze in seinem stetigen Niedergang. Auch das Herz von Leith erobert sie im Sturm, obwohl sie gerade erst 17 ist, 15 Jahre jünger als der ehemalige Soldat. Die Zuneigung besteht allerdings auf beiden Seiten. Helen vermutet nicht weniger als einen kosmischen Plan hinter der Reise ihrer Familie um den halben Planeten, die nun in Kure endet, wo sie Aldred kennenlernen muss.

Ergänzend zu Aldreds Geschichte wird die von Peter Exley erzählt, einem jungen Mann, der mit ihm im Krieg war. Auch er bereist nun Asien, allerdings ist er mit der Aufklärung von Kriegsverbrechen befasst. Die beiden Männer treffen sich in Hongkong, beide in der Überzeugung, dass China bald für die Welt verloren sein wird und die ihre letzte Chance auf eine Reise durch das Land wahrnehmen wollen. Exley ist der etwas gröbere Gegenpart von Aldred, nicht weniger tapfer, aber weniger feinfühlig und musisch, weniger agil.

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Furchtlos dank Blutegel – „Angstfresser“ von Grit Poppe

Kyra, eine junge Frau, die in Berlin lebt, kriegt ihre Angstzustände einfach nicht in den Griff. Ein normales Leben ist für sie nicht möglich, solange sie nicht das Trauma aufarbeitet, das tief in ihr steckt. Nach Jahren mehr oder weniger erfolgloser Therapien trifft sie zufällig auf eine Frau, die verspricht, ihr mit Traditioneller Chinesischer Medizin helfen zu können. Sie hat einen Angstfresser, einen Hirudo Timor, der sich an Menschen fest- und ihre Angst aussaugt. Ein bisschen skeptisch aber bereitwillig lässt Kyra sich auf einen Therapieversuch ein, nicht ahnend, in welche Verstrickungen sie sich damit begibt.

Poppe - Angstfresser

Parallel zu ihrer wird die Geschichte von Hans erzählt, der 1986 aus der DDR geflohen ist. Er nutzte das Vertrauen der Tochter eines Freundes, die ihm half, die Mauer zu überwinden. Kaum auf der anderen Seite angekommen, trifft er eine Frau, in die er sich verliebt und mit der er einige Jahre zusammenlebt. Der Fall der Mauer jedoch und seine Unfähigkeit, damit umzugehen, setzen der Beziehung ein Ende.

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Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten

Im Alter von vier Jahren zieht Xifan Yang mit ihrer Mutter nach Deutschland. Sie folgen dem Vater, der schon einige Jahre zuvor für ein Studium ausgewandert ist. Für die chinesische Familie ist Europa ein Wunderland ungeahnter Möglichkeiten und Freiheiten. Die Eltern arbeiten hart, um ihrer Tochter eine leichtere Zukunft zu ermöglichen. Xifan lebt sich in Deutschland schnell ein und lernt die Sprache mühelos. China gilt da noch als rückständiges Land der Hundeesser und oft schämt sie sich für ihre Herkunft. Der von der Mutter aufgezwungene Chinesischunterricht ist eine lästige Pflichtübung, die Xifan ohne jede Begeisterung erledigt.

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Xiaolu Guo: Kleines Wörterbuch für Liebende

Als Zhuang in London den Flieger verlässt, könnte der Kulturschock größer kaum sein. Sie ist die Tochter chinesischer Bauern, die nach jahrelanger harter Arbeit eine Schuhfabrik eröffnen konnten. Ihre Tochter soll bessere Chancen haben als sie und so schicken sie Zhuang nach England, wo sie ein Jahr lang einen Sprachkurs besuchen soll. China hat sie bis dahin nie verlassen, englische Sprachkenntnisse hat sie fast gar nicht. Mühsam tastet sie sich heran, liest sich durch ihr Wörterbuch, schreibt Wort für Wort in ihr Notizbuch, das sie am Ende des Jahres gefüllt haben will.

„Ich bin erbärmliche Mensch, spreche erbärmliche Englisch und komme aus erbärmliche kleine Stadt in Südchina. Wir kennen dort nicht edel.“

Sie traut sich kaum, das Hostel zu verlassen, hadert mit dem ungemütlichen Wetter und findet das Essen, vor allem das Frühstück, im Grunde ungenießbar. Rettung findet sie in Kinos, wo sie die unterrichtsfreie Zeit in Doppelvorstellungen von Hollywood-Klassikern totschlägt. Dort lernt sie eines Tages einen Mann kennen, der ihr schön und interessant erscheint. Er lädt sie zu sich nach Hause ein, sie missversteht und glaubt, es sei für immer.

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Evan Osnos: Große Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum

grosse_Ambitionen„Das China in dem ich mittlerweile lebte, konnte zugleich inspirieren und wahnsinnig machen, diese Heimat der mit bloßen Händen erarbeiteten Vermögen und der schwarzen Gefängnisse, der ungebremsten Neugier auf die Welt und des defensiven Stolzes hinsichtlich Chinas neuem Platz in ebendieser.“

China ist in den letzten Jahren zum Symbol für rasanten Aufstieg geworden. Die Wirtschaft des Landes explodiert, eine stetig wachsende Mittelschicht häuft Reichtum an und chinesische Investoren sind aus internationalen Großprojekten fast nicht mehr wegzudenken. Zugleich steht China aber auch für minderwertige Qualität, Fälschungen und im schlimmsten Fall gesundheitsgefährdende Produkte. Skandale wie giftige Babynahrung, Menschenrechtsverletzungen bei der Ausrichtung der Olympiade oder die völlig unzureichende Reaktion auf das Erdbeben in Sichuan gingen um die ganze Welt.

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Mo Yan: Frösche

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2002 besuchte der japanische Nobelpreisträger Kenzaburo Oe den noch nicht chinesischen Nobelpreisträger Mo Yan. Letzterer erzählte von einer Tante, die Frauenärztin war und Kenzaburo Oe fand das großartigen Romanstoff. In der Tat ist es das.

In Frösche gibt es dann auch einen Erzähler, der in Briefen einem japanischen Autor die Geschichte seiner Tante Gugu erzählt, die in den 1960ern als Geburtshelferin in Gaomi sehr gefragt ist und zu jedem schwierigen Fall gerufen wird. Ihr scheint eine steile Karriere gewiss zu sein, doch dann desertiert ihr Verlobter nach Taiwan. Die Repressionen, denen sie sich anschließend ausgesetzt sieht, dienen ihr aber nur zur Motivation, die nun geltende Ein-Kind-Politik gewissenhaft und unbedingt durchzusetzen. In ihrem Bezirk in Gaomi soll keine Frau mehr ein zweites Kind bekommen. Sie kämpft gegen Väter, die verzweifelt nach einer Tochter noch einen Sohn als Stammhalter wollen und gegen Mütter, die ihr Kind nicht verlieren wollen. Denn „Der Vorsitzende Mao lehrt uns: Die Menschheit darf nicht unkontrolliert wachsen, sie soll Selbstbeschränkung üben und sich nur geplant vermehren.“

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