Mörderjagd am Mississippi – „The Little Friend“ von Donna Tartt

Harriet ist erst wenige Monate alt, als ihr neunjähriger Bruder Robin im Garten der Familie ums Leben kommt. Es sieht nach einem Unfall aus, doch schnell werden die ersten Stimmen laut, die überzeugt sind, dass es sich um einen Mord handelt. Die Ermittlungen laufen ins Nichts und irgendwann wird der Fall zu den Akten gelegt. Zwölf Jahre später ist Harriet ein mutiges, kluges, belesenes und starrköpfiges Mädchen geworden und setzt es sich in den Kopf, in ihren Sommerferien aufzuklären, wer ihren Bruder auf dem Gewissen hat. Das ist gar nicht so leicht, denn in ihrer Familie gilt der Tod des Jungen als Tabu.

„Harriet’s house was a sleepy house – for everybody but Harriet, who was wakeful and alert by nature.“

Zusammen mit ihrem besten Freund Haley hat sie aber schnell einen ersten Verdächtigen ausgemacht: Danny Ratliff, der mit ihrem Bruder in eine Klasse ging und am Tag seines Todes in der Nähe gesehen wurde. Mittlerweile lebt er mit seinen drei Brüdern und seiner Großmutter in einem Trailer, ist drogenabhängig und in diverse halbseidene Geschäfte verwickelt. Welche Kettenreaktion ihre Ermittlungen auslösen werden, ahnt Harriet nicht, als sie anfängt, die Ratliffs auszuspionieren.

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Zwei unglückliche Schwestern – „Easter Parade“ von Richard Yates

Die Schwestern Sarah und Emily Grimes haben keine Chance, glücklich zu werden, das stellt der Autor gleich im ersten Satz fest. Mit ihrer Mutter Pookie ziehen nach der Scheidung der Eltern von Randbezirk zu Vorstadt, immer um New York kreisend. Ihre Kindheit ist eine Abfolge neuer Häuser, neuer Schulen und neuer Freundinnen – wenn es denn gut läuft. Verzweifelt buhlen die beiden um die Gunst des Vaters, der in New York geblieben ist und bei einer wichtigen Zeitung arbeitet. Dass er da einen völlig öden und unglamourösen Job hat, blenden beide erfolgreich aus.

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Dabei sollen die beiden Töchter es eigentlich besser haben, so das erklärte Ziel von Pookie. Und zumindest bei Sarah scheint das auch ganz gut zu klappen. Sie heiratet den attraktiven Spross der aus England stammenden Familie Wilson. Sehr vornehm und sogar mit Landbesitz auf Long Island. Emily studiert immerhin, schafft es aber leider nicht, sich anständig zu verloben. Dafür legt sie in New York eine ganz anständige Karriere hin. Doch wie angekündigt ist das Glück den beiden Frauen nicht hold. Der Landsitz der Familie Wilson entpuppt sich als gammelige Bude und der vornehme Gatte als Tyrann. Sarah hält tapfer mit Alkohol dagegen. Emily leidet derweil unter einem wenig erfüllenden Job und immer wieder zerbrechenden Beziehungen. Der soziale Aufstieg, den Mutter Pookie so sehr erhofft hatte, hält nur kurz, was er verspricht.

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Der Tod eines widersprüchlichen Märtyrers – „Ein Mensch brennt“ von Nicol Ljubić

Im Sommer 1975 steht Hartmut Gründler vor der Tür der in Tübingen lebenden Familie Kelsterberg. Er interessiert sich für die günstige Wohnung, die von der Familie im Untergeschoss des Hauses vermietet wird. Zwei Jahre später zündet er sich aus Protest gegen die Nutzung von Atomenergie an und stirbt an seinen schweren Verletzungen. In den beiden Jahren die dazwischen liegen, stellt er das Leben der Kelsterbergs völlig auf den Kopf. Knappe vierzig Jahre später entscheidet sich Hanno, der Sohn der Familie, die Geschichte zu erzählen.

„das Problem mit diesem Hartmut ist ganz banal: Keiner kennt ihn.“

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Suzanne Berne: Ein Mord in der Nachbarschaft

Marsha wächst auf in der ungetrübten Idylle eines Vororts von Washington. 1972, als sie gerade zehn Jahre alt ist, geschieht dort das ungeheuerliche: Ein etwa gleichaltriger Junge aus der Nachbarschaft wird vergewaltigt und ermordet. Seine Leiche findet man in einem Wäldchen hinter dem Einkaufszentrum. Panik breitet sich aus und immer neue Schauergeschichten führen dazu, dass auf einmal alle Leute ihre Türen abschließen und die Väter des Viertels nachts auf den Straßen patrouillieren. Marshas Vater ist nicht mehr dabei, er ist nach dem Bekanntwerden einer Affäre vor die Tür gesetzt worden und lebt jetzt in einem trostlosen Appartement voller Kartons. Zu allem Überfluss bricht Marsha sich einen Knöchel und hat nun die ganzen langen Sommerferien nichts anderes zu tun, als von der Veranda aus die Nachbarn zu beobachten und jedes Detail akribisch in ihrem Notizbuch festzuhalten.

Es war ein ruhige Nachbarschaft, auf eine Art, wie es sie heute nicht mehr gibt.

Marshas liebstes Beobachtungsobjekt ist der neue Nachbar Mr. Green, der sich an verschiedenen Punkten verdächtig macht, unter anderem, weil er eben neu ist. Außerdem ist er alleinstehend, und da muss ja irgendwas faul sein. In Washingtons Suburbia ist man nicht einfach so alleinstehend. Demonstrativ besonnen und unaufgeregt bleibt Marshas Mutter in der um sich greifenden Hysterie. Sie beharrt darauf, die Haustür auch weiterhin nicht abzuschließen und geht auf die wilden Spekulationen der Nachbarinnen einfach nicht ein.

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Meg Wolitzer: Die Stellung

wolitzerstellungDie Mellows sind eine Bilderbuchfamilie, inklusive Eigentumshaus, Volvo-Kombi und eigenem Familienlied, „oh, wir sind die Mellows, ein paar Girls und ein paar Fellows“. Die Eltern Roz und Paul lieben sich noch immer, finden sich noch immer attraktiv. So attraktiv, dass sie in den prüden 70er-Jahren einen Sex-Ratgeber veröffentlichen, Pleasuring. Die Reise eines Paares zur Erfüllung, für den sie sogar eine eigene Stellung erfunden haben, die „elektrisierende Versöhnung“. Und als wäre das alles nicht schon peinlich genug, ist das Buch voll mit Illustrationen des Paares in allen erdenklichen Stellungen.

Für Sohn Michael, der das Buch eines Tages vom Regal holt, wo es unauffällig neben einem Hunde-Bildband steht, ist das der Gipfel der Peinlichkeit. Eine Peinlichkeit, die er mit seinen Geschwistern Holly, Dashiell und Claudia teilen muss. Zu allem Überfluss schlägt das Buch ein wie ein Blitz, das Ehepaar Mellow tingelt von Talkshow zu Vortrag zu Signierstunde und scheinbar hat jeder, wirklich jeder in der ganzen Nation Paul und Roz beim Sex gesehen.

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Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

rafIch weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll mit meiner Lobeshymne. Ich habe Wochen gebraucht für dieses Buch. Das liegt daran, dass es sehr dick, anstrengend und gut ist. So gut, dass ich für manche Seiten sehr lange gebraucht habe, weil jeder einzelne Absatz so gut war, dass ich ihn nochmal und nochmal und vielleicht nochmal lesen musste. Und daran, dass es kein Buch für zwischendrin ist, das würde ihm einfach nicht gerecht werden.

Es ist lange her, dass ich ein so brillant konstruiertes Buch gelesen habe. Der Erzähler ist der titelgebende manisch-depressive Teenager, der in der jungen BRD aufwächst. Zusammen mit Claudia und Bernd gründet er die Rote Armee Fraktion als er gerade dreizehn Jahre alt ist. Alles andere muss man sich irgendwie zusammenreimen aus den Bruchstücken, die der Autor einem gibt. Dialoge, Monologe, ein Verhör, in dem man dem Erzähler Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft, ein Theaterstück, aufgeführt von der Schauspielgrupe der Spezialambulanz für Persönlichkeitsstörungen des Universitätsklinikums Eppendorf, Erinnerungen an Spaziergänge mit seiner Geliebten Gernika, Beatles-Exegese, Rolling Stones-Negation, Gespräche mit dem Therapeuten Dr. Märklin.

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Rachel Kushner: Flammenwerfer

flammenwerferFlammenwerfer ist das von mir am meisten unterschätzte Buch des Jahres. Die Verlagsvorschau sagte mir, dass es um das Mädchen Reno ginge, ein Spitzname nach ihrem Geburtsort. Ich dachte an Jersey von Coyote Ugly und hatte schon keine Lust mehr. Außerdem sei sie Motorrad-Rennfahrerin, die im „kreativ explodierenden“ SoHo lebt und mit einem stinkreichen Konzeptkünstler liiert ist. Aha. Alles langweilig, kauf ich nicht, nächstes Buch.

Dann kam ein Kunde und sagte ich müsse es lesen. Unbedingt. Weil ich wusste, dass er fragen würde, bis ich irgendwas dazu sagen könnte, hab ich mal reingeguckt. Und es ist ein unglaublich gutes Buch. Obwohl es um Motorräder und Land Art geht. Natürlich nicht nur darum.

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