Ein literarisches Ausnahmetalent – „Vondenloh“ von Frank Witzel

Der Ich-Erzähler in Vondenloh lebt in der süddeutschen Kleinstadt Leinheim, wo er gemeinsam mit Helga Dahmel aufwuchs, die nun als Bettine Vondenloh literarische Erfolge feiert. Der Erzähler ist stolz darauf, dass er es war, dem Helga einst im Jugendzimmer schüchtern ihre ersten literarischen Versuche zeigte und nach seiner Meinung fragte. Nun ist ist sie eine feste Größe, nicht nur die Klatschzeitschriften reißen sich um sie, auch ganze Kongresse befassen sich nur mit ihrem Leben und Werk. In Jugendjahren glaubte der Erzähler, er sei eigentlich begabter als Helga. Doch unverständlicherweise gelang es nur ihr, eine Erzählung in der Gratis-Zeitschrift „Bäckerblume“ unterzubringen, während seine Einsendungen an die Redaktion unbeantwortet blieben.

Jahrzehnte später ist der Erzähler noch immer besessen von ihr. Als Bettine noch unter ihrem Geburtsnamen die Heimatstadt verließ, war noch kein einziger Roman geschrieben und doch glaubt er, niemand kenne und verstehe Vondenlohs Werk so gut wie er. Schließlich war er es, der sie mit den Romanen des österreichischen Schriftstellers Stieger vertraut machte, deren Spuren sich nun ganz eindeutig in ihrem Oeuvre finden lassen. Selbst ein Libretto hat er zu ihren Ehren geschrieben, zu dem bisher aber leider kein Komponist die Musik liefern wollte. Nun also hofft der Erzähler, in einer Talkshow Gelegenheit zu erhalten über die Schriftstellerin zu sprechen und schreibt in Vorbereitung einer entsprechenden Einladung schonmal alles auf. Bei seiner Suche nach Bettine, auf deren Heimkehr nach Leinheim er nun schon so lange vergeblich hofft, entdeckt er einige Wahrheiten über die Schriftstellerin, die ihre ganze Person in Frage zu stellen scheinen.

„Es wird zu untersuchen sein, ob der Erzähler des Romans Vondenloh das ist, was man gemeinhin einen Stalker nennt.“

Diese Hommage an die Künstlerin gerät zu einer Satire des Literaturbetriebs, in der große Namen und frei erfundene Figuren wild durcheinandergewürfelt werden. Dabei geht es um Neid unter Schriftstellern, Kulturjournalismus, literaturwissenschaftliche Kongresse und überhaupt die Frage der Autorenschaft. Der Roman schließt mit einer Materialsammlung über den Roman selbst, die alles Gelesene in Frage zu stellen scheint.

Den atmosphärischen Hintergrund für all das liefert die provinzielle Kleinstadt, aus der sich fast sämtliches Romanpersonal rekrutiert. Erzählt wird, wie so oft in Witzels Romanen von den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik, vom Aufwachsen in den 60er-Jahren. Selbstverständlich gibt es aber selbst in der Provinz allerhand skurriles und unglaubliches zu entdecken, wie eine versteckte Wachsraketen-Teststrecke und eine lebensgroße Goebbels-Statur aus Staniolpapier.

Wahrheit und grandios Ausgedachtes gehen hier so nahtlos ineinander über, dass man schnell nicht mehr weiß, was man glauben kann. Am Ende natürlich fast nichts, denn wieder einmal hat man es mit einem hochgradig unzuverlässigen Erzähler zu tun, der sich in seiner Suche nach der Verehrten völlig verrennt. Vondenloh ist ein kluger und unterhaltsamer Roman mit vielen absurden Elementen und noch mehr doppelten Böden.


tl;dr: In Vondenloh beschreibt Witzel auf sehr unterhaltsame und absurde Weise einen gescheiterten Schriftsteller, der sich mit voller Begeisterung und großem Aufwand dem Leben seiner Jugendfreundin, der großen Autorin Vondenloh widmet.


Frank Witzel: Vondenloh. Textem 2008, 216 Seiten. Das Buch ist über Verlag und Buchhandel noch zu kriegen, alternativ gibt es eine Taschenbuch-Ausgabe bei Matthes & Seitz.

Das Zitat stammt von S. 204.

4 Gedanken zu “Ein literarisches Ausnahmetalent – „Vondenloh“ von Frank Witzel”

  1. An der „Erfindung der RAF“ hätte ich ja wenn überhaupt auszusetzen, dass das ganze zu ausgewalzt, am Ende zu viel Chaos war, bei dem nicht mehr sicher ist, ob wenigstens der Autor noch nen Plan dahinter hat… aber ein spaßiges Buch. kA warum ich mir seitdem nicht noch mal was kürzeres vom Autor besorgt hab… werd ich mir vll mal anschauen.

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    1. Stimmt, das wurde am Ende ganz schön wild. Großen Spaß hatte ich persönlich auch an „Revolution und Heimarbeit“, „Bluemoon Baby“ mochte ich nicht ganz so gerne, das war auch wieder sehr viel frühe Bundesrepublik.

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