Diesseits der Grenze – „Drei Kilometer“ von Nadine Schneider

Drei Kilometer sind keine weite Strecke, eigentlich nur ein kurzer Spaziergang. Nur ein Maisfeld trennt Anna, Misch und Hans von der rumänisch-serbischen Grenze. Alle drei träumen davon, Rumänien zu verlassen und ins Ausland zu gehen, am liebsten nach Deutschland. Sie wollen studieren, nicht mehr in einer Fabrik arbeiten, nicht mehr im abgelegenen Dorf auf bessere Zeiten hoffen. Sie müssen schnell entscheiden. Sobald der Sommer vorbei ist, der Mais geerntet wird, die Deckung fehlt, wird die Flucht unmöglich sein. Doch im Mais verlaufen vielleicht Drähte und in ihrer Mitte ist vielleicht ein Verräter, der jeden Plan sofort an die Miliz verrät. Man muss leise treten in diesen Tagen und jedes Wort sorgfältig abwägen, immer hinterfragen, wer wirklich welche Interessen verfolgt.

„Es sind nur drei Kilometer! Drei Kilometer bis zur Freiheit. Warum machen wir es nicht heute Nacht?“

Nadine Schneider erzählt sehr ruhig von einem Sommer, in dem sich Dramatisches abspielt. Dabei hat sie ein außerordentliches Talent, Atmosphären und Stimmungen einzufangen. Man spürt die drückende Hitze, die auch nachts nicht aus den Höfen weicht und die Ungeduld und Anspannung, die den drei Hauptfiguren in den Knochen sitzt. Das ruhige Leben im rumänischen Dorf scheint gar nicht für Drama gemacht zu sein, und doch verschwinden immer wieder Leute. Nicht alle schreiben irgendwann aus Deutschland.

Große Entwicklungen machen die Charaktere in Drei Kilometer nicht durch, was sicher auch an der Kürze der Erzählung liegt, vor allem aber an ihrer völligen Bewegungsunfähigkeit. Mutige Pläne sind schnell geschmiedet, der Rucksack steht schon bereit, aber dann lassen sich die Bedenken nicht abschütteln, die Sorge um die zurückbleibende Familie, die Angst vorm Verrat. Und so fahren die Protagonisten einfach weiter vom Dorf in die Stadt, stehen weiter am Fließband und hoffen, dass das alles irgendwie enden wird.


Nadine Schneider: Drei Kilometer. Gelesen in der eBook-Ausgabe Jung und Jung 2019. 96 Seiten. Lieferbar auch als Hardcover mit 160 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 8/96.

Dieser Roman war auf der Shortlist von „Das Debüt“ 2019.

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