Die letzten Tage Nikola Teslas – „The Invention of Everything Else“ von Samantha Hunt

Völlig verarmt und enttäuscht von der Welt und seinen ehemaligen Wegbegleitern lebt Nikola Tesla am Ende seiner Tage in einem New Yorker Hotel, das er nicht bezahlen kann. Freundschaften pflegt er schon lange nicht mehr, Besucher empfängt er nie, bis eines Tages das Zimmermädchen Louisa Interesse an ihm und seinen unvollendeten Ideen findet. An verrückte Erfinder ist Louisa von Kindesbeinen an gewöhnt. Gerade erst ist ihr Nennonkel Azor nach zweijähriger unerklärlicher Abwesenheit wieder aufgetaucht und ist sich sicher, eine Zeitmaschine gebaut zu haben. Louisas Vater Walter ist ganz begeistert von der Idee und der verheißungsvollen Chance, seine geliebte, jung verstorbene Frau Freddie noch einmal sehen zu dürfen.

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Das New York, in dem Louisa lebt, ist trotz ihrer teils widrigen Lebensumstände geprägt von Schönheit, Möglichkeiten und Magie. Ihren Vater sieht sie nur wenig, weil er als Nachtwächter in der New Yorker Bibliothek arbeitet. Aber das gibt ihr zugleich die Chance, diesen ungeheuren Reichtum von Büchern und Gedanken fast für sich allein zu haben, wenn sie ihn bei seinen nächtlichen Wachgängen besucht. Auch ihre Arbeit als Zimmermädchen scheint sie nicht anstrengend zu finden. 18 Handtücher pro Tag für Herr Tesla? Kein Problem für Louisa. Zwischen all den Zimmern, die sie auf Etage 33 zu reinigen hat, bleibt auch immer noch Zeit für lange Gespräche und Spaziergänge in den Park. Warum Louisa nicht schon lange die erste Abmahnung von der Hotelleitung in der Post hatte, ist wohl nur mit dem gleichen magischen Realismus erklärbar, der auch Zeitreisen möglich macht.

„In America you could still be an engineer, you just couldn’t be Serbian. And you most definetly couldn’t be poor and unmarried, with plans for a wireless world tucked up your sleeve, and Serbian.“

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive Teslas und Louisas erzählt. Ein guter Teil der Geschichte besteht aus Teslas Lebenserinnerungen. Seiner Ankunft in den USA, seine Rivalität mit Edison, wie er sich immer und wieder übergangen und ausgenutzt fühlt, wenn seine Ideen die Grundlage bieten für große Erfindungen, die dann mit anderen Namen verbunden bleiben. Tatsächlich fanden Teslas Ideen, die heute wieder großen Anklang finden, zu seinen Lebzeiten kaum Fans. Nach einer Phase, in der er als Genie gefeiert wurde, fanden seine Ideen immer weniger Anhänger. Dass er Strom aus der Atmosphäre ziehen wollte, frei verfügbar für alle, verärgerte die Menschen, die an der Elektrizität verdienten und vormals seine Gönner waren. Als er dann auch noch sicher war, dass seine Nachrichten an den Mars beantwortet wurden, nahm ihn endgültig keiner mehr ernst.

Doch Louisa, die beim nicht erwünschten Reinigen seines Zimmers ganz „zufällig“ das Manuskript seiner Memoiren findet, ist sofort begeistert von dem außergewöhnlichen und exzentrischen Leben des Hotelgastes. Es passt auch wunderbar zu ihrer Liebe für mysteriöse Radio-Hörspiele, die sie mit Begeisterung hört. Die Protagonistin wirkt mit ihrer Liebe zu harmlosen Geistergeschichten und ihrer Begeisterung für Brieftauben ziemlich naiv und unbedarft. Anders aber hätte eine Protagonistin, die Zeitreisen für denkbar hält, auch gar nicht sein dürfen.

The Invention of Everything Else bietet einen interessanten Einblick in das Leben Teslas und den Wettstreit, der in den ersten Tagen der Elektrizität losbrach. Die exzentrischen aber liebenswürdigen Charaktere machen den Roman zu einer kurzweiligen, unterhaltsamen Lektüre. Große Ansprüche an die Leser*innen stellt das Buch nicht. Man folgt Louisa auf ihren surrealen Wegen durch New York, hört dem verqueren Wissenschaftler zu, der mit den Tauben spricht, und weiß am Ende ein wenig mehr über sein Leben. Das alles ist stilistisch sauber und klassisch gelöst und das Leben Teslas hat Hunter offenbar sehr genau studiert. In ihren Danksagungen gibt sie gleich mehrere Biographien an, die Eingang in ihren Roman gefunden haben. Als romanhafte, ziemlich verspielte Tesla-Kurzbiographie kann man das Buch gut lesen, wenn man nicht zu hohe literarische Erwartungen hat.


Samantha Hunt: The Invention of Everything Else. Gelesen in der Ausgabe Vintage 2009. 358 Seiten. Originalausgabe 2008 bei Houghton Mifflin Harcourt. Eine deutsche Übersetzung gibt es meines Wissens nicht.

Das Zitat stammt von S. 306.

Hunter war mit diesem Roman 2009 auf der Shortlist des Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.

 

 

4 Gedanken zu “Die letzten Tage Nikola Teslas – „The Invention of Everything Else“ von Samantha Hunt”

    1. Ich fand Tesla auch ganz spannend. Vor dem Buch wusste ich nur „kam irgendwo aus Osteuropa“ und „hat irgendwas mit Strom gemacht“.

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  1. Tesla – aber auch die Konkurrenz, Edison etwa – sind fraglos hochinteressante Personen. Einmal als eben das, Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten und natürlich auch, wahrscheinlich nur wegen eines gewissen Zuviel an Persönlichkeit, an Ego möglich, dem was sie geleistet und entdeckt haben, möglich gemacht haben oder aber auch nur dachten, sie hätten. Das faszinierende an der Elektrizität (und Magnetismus, lange nicht gut unterschieden) hat ja schon Volta und andere beschäftigt, nicht zuletzt den Erfinder des nach ihm benannten Mesmerisierens – darauf beruhen ja die alten Horrorromane! Und Antworten vom Mars – na, da glauben die Leute heutzutage noch ganz andere Sachen. Der unrealistischste Teil dürfte nach der Beschreibung tatsächlich das Zimmermädchen sein, das circa 24 Stunden hellwach ist und stets tätig. Womöglich ein früher Automat (von Edison konstruiert)?

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    1. Thomas Edison taucht gelegentlich in meiner Lieblings-Hörspielreihe „Professor van Dusen“ auf, deswegen weiß ich über den zumindest ein kleines bisschen. Generell finde ich die Entwicklung der (Natur)wissenschaften um diese Zeit herum auch sehr spannend.
      Die Konstruktion eines unermüdlichen Zimmermädchen-Automaten traue ich Edison auf jeden Fall zu. Und es nur, um Tesla damit zu ärgern.

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