Rachel Cusk: Outline

Die bis knapp vor Ende namenlose Protagonistin in diesem Roman ist Autorin und verbringt eine kurze Zeit im Sommer in Athen um dort einen Schreibkurs zu unterrichten. Sonst erfährt man beinahe nichts über sie, was stellenweise irritierend ist, denn der Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben. Ihr Alter ist nur anhand der Eckdaten abschätzbar, sie lebt in London, hat Kinder und hat sich vor kurzem von ihrem Mann getrennt. Finanziell sieht es nicht besonders gut aus für sie. Über ihre Interessen, ihr Aussehen, ihre Vergangenheit oder ihre Herkunft aber erfährt man darüber hinaus absolut nichts.  Nach der Trennung, die noch nicht sehr lange her sein kann, ist sie in der Schwebe, weiß nicht, wie es weitergeht, ob sie jemals wieder in einer Beziehung leben will. Charakterisiert wird sie, wo überhaupt, nur durch ihre Reaktion auf die Geschichten anderer Menschen.

„This anti-description, for want of a bett way of putting it, had made something clear to her by a reverse kind of exposition: while he talked she began to see herself as a shape, an outline, with all the detail filled in around it while the shape itself remained blank.“

Andere Menschen zum Erzählen zu bringen scheint eine ihrer Stärken zu sein. Es gehört nicht nur zu den Übungen, die sie ihre SchülerInnen im Schreibkurs machen lässt. Schon ihr Sitznachbar im Flugzeug nutzt die wenigen Stunden zwischen London und Athen um ihr von seinen beiden grandios gescheiterten Ehen zu erzählen. Die Erzählerin hat dabei einen sehr analytischen Blick auf das Erzählte und behandelt es, als sei es ein literarischer Text, den es zu kritisieren gilt. Sie kreidet an, wenn ihr Personen zu einseitig charakterisiert und zu platt erscheinen, verlangt Ergänzungen wo ihr die Geschichte lückenlos erscheint und zwingt so ihre GesprächspartnerInnen zu absolut erund schonungsloser Offenheit. Sich selbst in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, ist keine Option. Die Menschen, mit denen sie spricht sind ganz unterschiedlich. Ein älterer und sehr reicher Grieche, die SchülerInnen im Schreibkurs, Freundinnen und Freunde, die sie in Athen kennt und trifft. Doch fast alle erzählen von Situationen, in denen sie ihr Handeln nicht völlig selbst bestimmen konnten, in denen sie sich gedrängt oder genötigt sahen, ihr Tun den Erwartungen Anderer anzupassen und diese nicht zu enttäuschen. Situationen, in denen ihr Handeln eher Reaktion als Aktion war. Das Ergebnis ist eine Reihe von Erzählungen über unglückliche und gescheiterte Beziehungen in jeder denkbaren Konstellation. Es geht aber auch um das Freischwimmen aus dieser Art von Verbindungen, um Schlussstriche und Brüche, die oft Mut oder gar Grausamkeit erfordern, letztlich aber der einzige Ausweg sind. Die Art, wie die Erzählerin diese Art von Geschichten anzieht und beinahe schon sammelt, scheint einiges über sie zu sagen.

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Die Handlung des Romans ist absolut minimal und außer einem Flug und ein paar Freizeitaktivitäten in Athen passiert nahezu nichts. Man muss sich darauf einlassen können und wollen, dass in diesem Roman nur sehr viel erzählt und ein wenig geschwommen wird. Aber was will man im Hochsommer in Athen sonst auch tun. Die Charakterisierung der Hauptperson geschieht auf sehr außergewöhnlichem Weg, nämlich indem überhaupt nichts über sie gesagt wird. Stilistisch und technisch ist der Roman deshalb im Gegensatz zu seiner maximal reduzierten Handlung sehr interessant zu lesen. Viele der Erzählungen, die in Summe diesen Roman ergeben, sind zudem sehr gelungen und bieten einige sehr spannende Perspektiven.


Rachel Cusk: Outline. Gelesen in der Ausgabe Faber & Faber 2014. Die deutsche Übersetzung von Eva Bonné ist unter gleichem Titel bei Suhrkamp erschienen.

Das Zitat stammt von S. 239

Mit diesem Roman stand Rachel Cusk 2015 auf der Shortlist für den Baileys Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des „Women’s Prize for Fiction„-Leseprojekts.

3 Gedanken zu “Rachel Cusk: Outline”

    1. Ich glaube schon, dass du es mögen würdest. Man muss sich auf diese sehr eigene und ruhige Erzählweise einlassen können und wollen, das ist ja nicht immer das richtige für einen. Aber wenn du dazu gerade in der Stimmung bist, könnte es durchaus was für dich sein.

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