Der US-amerikanische Autor Tom Disch dürfte, obwohl in seinem Genre sehr bekannt, hierzulande fast nur ernsthaften SciFi-Fans ein Begriff sein. Für seine Romane, die er unter seinem vollen Namen Thomas M. Disch veröffentlichte, erhielt er unter anderem mehrfach den renommierten Nebula Award. Als er 2008 Suizid beging, hinterließ er aber auch eine beachtliche Gedichtsammlung. Einige davon veröffentlichte er in seinen letzten Lebensjahren auf seinem Blog endzone, der noch immer online ist.
Seinem Selbstmord voraus gingen drei Jahre, in denen ein Schicksalsschlag auf den nächsten folgte. Nachdem sein Lebensgefährte Charles Naylor an einer Krebserkrankung gestorben war, drohte ihm der Verlust der ehemals gemeinsamen Wohnung, die auf Naylors Namen lief und auch das Landhaus des Paares wurde durch einen Wasserschaden unbewohnbar. Zudem litt Disch selbst mit Ende 60 an verschiedenen Erkrankungen, die eine gesellschaftliche Teilhabe immer schwieriger machten. Sein literarisches Schaffen war fast völlig zum Erliegen gekommen, außer ein paar eher unbedeutenden Veröffentlichungen in Kleinverlagen konnte er keine Erfolge mehr verzeichnen.
„Ich schreibe Gedichte, weil ich das für das Schwierigste halte, das ich gut kann. Und so genieße ich ganz einfach das Schreiben wie ein Reiter die Zeit auf einem guten Pferd. Gedichte sind mein gutes Pferd.“
In dieser düsteren Stimmung also schrieb er seine letzten Gedichte, die er ab 2006 online veröffentlichte, und von denen nun eine Auswahl in der Übersetzung von Christopher Ecker beim Mitteldeutschen Verlag erschienen ist. Ecker und Disch verband eine kurze, aber enge Freundschaft. Erst im Frühjahr 2008 nahm Ecker Kontakt zu Disch auf, indem er auf seinem Blog einen Übersetzungsvorschlag für eines der Gedichte postete. Disch war begeistert von der Idee einer Übersetzung und in den folgenden Monaten schrieben die beiden Autoren mehrere Mails am Tag. Erst nach Dischs Tod reiste Ecker nach New York, wo er seine Wohnung besuchte und Toms Bruder traf, der mit der Nachlassverwaltung betraut war.
Die meisten der Gedichte in der aus dieser Freundschaft entstandenen Sammlung haben eine dunkle Endzeitstimmung. Wenn man durch Dischs Blogeinträge scrollt, ist es, als läse man einen zwei Jahre dauernden Abschiedsbrief, in dieser Sammlung ist es nicht viel anders. Er hatte abgeschlossen mit dem Leben und erwartete nicht mehr viel, als er begann, diese Gedichte zu schreiben. In einigen zeigt sich eine beinahe trotzige Wut auf die Welt, die er mit dem resignativen Blick eines Aufgebenden betrachtet. Abwechslungsreich bleibt die Sammlung dennoch. Die übersetzten Gedichte handeln vom Charles Tod, von einer Maus, die sich in Toms Appartement verirrt und von Toms Tante Aurelia, der in den 50ern, so glaubt er sich zu erinnern, eine Flasche Parfum geschenkt hat. Das englischsprachige Original ist immer der deutschen Übersetzung gegenübergestellt, sodass ein direkter Vergleich möglich ist. Die Übersetzungen scheinen mir sehr gelungen zu sein, was sicher auch daran liegt, dass Ecker viele Texte noch mit Disch besprechen und abstimmen konnte. Es ist ein Glück für das deutschsprachige Publikum, diese letzten Gedichte nun lesen zu können.
Das einzig enttäuschende an diesem Band ist die Tatsache, dass die Gedichte schon auf S. 124 vorbei sind und ich gerne mehr gelesen hätte. Was sich anschließt ist allerdings ein sehr informativer Teil über die einzelnen Gedichte wie auch über Dischs Leben und Werk an sich. Tatsächlich kannte ich bisher rein gar nichts von Disch, bin mir aber sicher, mit diesem Gedichtband einen Autor für mich entdeckt zu haben, der mich noch etliche Male wird begeistern können.
Tom Disch: Endzone. Letzte Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt und kommentiert von Christopher Ecker. Mit einem Vorwort von John Crowley und einem Nachwort von Dietmar Dath. Mitteldeutscher Verlag 2018. 205 Seiten, € 24,-.
Das Zitat stammt aus einem Interview für die Bat Segundo Show und wurde von Christopher Ecker übersetzt. S. 157 im oben genannten Buch.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar und die damit verbundene Entdeckung von Tom Disch.
Das klingt richtig gut – wie bist Du auf das Buch gekommen. Ich kenne den Autor bisher auch nicht, werde aber definitiv in den Gedichtband reingucken. Danke für den Tipp 🙂
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Durch den Übersetzer. Beim Mitteldeutschen Verlag stehe ich offenbar auf der Christopher Ecker-Fangirl-Liste und wurde gefragt, ob ich das vielleicht auch haben will.
Ich glaube, dass Dischs Roman sehr was für dich sein könnten.
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Ah ok – ich werde Christopher Ecker auf jeden Fall mal auf dem Radar behalten – danke!
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Hi, Herrn Disch kenne ich trotz weitläufiger Lyriklektüre noch nicht… werde mich erst mal durchs Journal wühlen. Die zweisprachigkeit der Ausgabe finde ich vorbildlich… sollte man für Lyrik beinah zur Pflicht machen 😉
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