Sarah Bakewell: At the Existentialist Café

Existentialisten sind blasse, magere Gestalten, die den Tag in Cafés verbringen und kettenrauchend über das Dasein philosophieren. So zumindest die popkulturelle Darstellung. Tatsächlich haben viele der heute bekannten PhilosophInnen, die im Allgemeinen dieser Strömung zugerechnet werden, größere Teile ihrer Zeit in Cafés verbracht, darunter auch Sartre, Beauvoir und der weit weniger bekannte Raymond Aron, die Bakewell zusammen an einen Tisch setzt und Aprikosencocktails trinken lässt. Das dürfte in dieser Konstellation auch wirklich häufiger passiert sein, auch noch bevor der Begriff des Existentialismus geprägt wurde und alle noch von der Phänomenologie sprachen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland für akademisches Aufsehen sorgte.

Bakewell_Cafe

Auch Bakewell beginnt ihre Ausführungen mit den Vertretern der Phänomenologie, angefangen bei Husserl, über Jaspers und Heidegger. Das ist naheliegend, schließlich bezog auch Sartre die Grundlagen seiner späteren Existenzphilosophie maßgeblich von diesen Autoren*. Mit seiner Philosophie der Freiheit war Sartre allerdings schnell anziehender als die Vertreter der Phänomenologie, auch wenn diese, vor allem Heidegger, eine beachtliche und ergebene Anhängerschaft um sich scharen konnten. Bei einem Vortrag Sartres im Club Maintenant aber war der Saal so heillos überfüllt, dass einige Zuschauerinnen Zeitungsberichten zufolge in Ohnmacht fielen. Das war wohl eher der schlechten Luft als Sartres Intellekt und Charme geschuldet, sein Ruf als Popstar der Philosophie war aber spätestens damit begründet. Auch Bakewell widmet ihm einen Großteil ihres Buches. Sie zitiert aus verschiedensten Werken und legt so auch dar, wie Sartres Einstellung und Werk sich im Lauf der Jahrzehnte verändert hat. Auch auf sein gesellschaftliches Engagement geht sie ein, denn Sartre war immer der Ansicht, die wahre Aufgabe eines Autors sei es, sich in Debatten einzumischen und in der Öffentlichkeit für die eigene Meinung einzustehen, auch wenn man sich Feinde macht – und Sartre hatte viele Feinde. Er wollte die Dinge aus der Sicht derer betrachten, die am wenigsten begünstigt sind. Dies war auch Teil seiner Beweggründe, den Nobelpreis abzulehnen: zum einen wollte er seine Unabhängigkeit behalten, zum anderen kritisierte er, dass der Preis praktisch nur an westliche AutorInnen verliehen wurde.

„In existentialism, there are no excuses. Freedom comes with total responsibility.“

Wo Sartre war, war Simone de Beauvoir nicht weit, und so ist es auch in diesem Buch. Sie ist die zweite Person, der besonders viel Raum eingeräumt wird. Als Langzeitpartnerin von Sartre war sie seine intellektuelle Sparring Partnerin, oft erste Leserin und, durch Tagebucheinträge und Briefe, auch seine Biographin. Ihr ist es mit zu verdanken, dass so viele Begegnungen aus dem Leben der beiden heute noch so nachvollziehbar sind. Nicht zuletzt war sie selbst aber natürlich auch eine große Denkerin und Autorin, die sich an Romanen und Theaterstücken versuchte, nachhaltigsten Ruhm aber mit ihrem aufsehenerregenden Werk Das andere Geschlecht erlangte. Als „hübscheste Existenzialistin“ wurde auch sie international gefeiert und zu Vortragsreisen eingeladen.

Auch unbekanntere Wegbegleiter der beiden haben ihren Auftritt. Emmanuel Levinas oder Maurice Merlau-Ponty beispielsweise dürften nur eingefleischten Phänomenologie-Fans bekannt sein. Obwohl beide nicht dem Existenzialismus zuzuordnen sind, waren sie für Sartre und seine Philosophie von Bedeutung. Und natürlich hat auch Albert Camus, der Lässigste unter ihnen, seine Auftritte. Bakewell bietet Einblicke in ihr Werk und zeichnet damit ein umfassendes, verständliches und auch sehr unterhaltsames Bild des Existenzialismus, der lange wahnsinnig angesagt war, von vielen aber nie verstanden wurde und sogar als Gefahr für die Jugend galt, die damit zu freier Liebe verführt werden sollte. At the Existentialist Café  kann nur eine Annäherung und Einführung sein, ist dabei aber sehr ausführlich und detailliert. Vor allem aber versteht Bakewell es, Schwellenangst vor den „großen Texten“ abzubauen und macht Lust auf mehr. Selbst komplexe Gedanken bricht sie auf ein eingängiges Niveau herunter, ohne dabei aber ihren Anspruch zu verlieren. Ein sehr ausführlicher Anhang macht das Weiterlesen einfach. Bakewell gelingt es in diesem Buch nicht nur, ihre Teenager-Begeisterung für Sartre in eine spätere Lebensphase zu transportieren, sondern auch, sie mit ihren LeserInnen zu teilen.

* Tatsächlich werden in diesem Buch so viele Schriften deutscher Philosophen und Schriftsteller zitiert, dass ich ausnahmsweise dazu raten würde, dieses Buch nicht im Original, sondern in deutscher Übersetzung zu lesen. Das erspart einem unter anderen den (für deutsche LeserInnen unnötigen) Umweg über die Heidegger-Übersetzung. Was nicht von deutschen Autoren kommt, kommt von Franzosen und die müssen ohnehin in beiden Ausgaben übersetzt werden.


Sarah Bakewell: At the Existentialist Café. Freedom, Being & Apricot Cocktails. Vintage 2017. 440 Seiten, ca. €12,-. Originalausgabe: Chatto & Windus 2017. Deutsche Übersetzung: Das Café der Existenzialisten. Freiheit, Sein und Aprikosencocktails. Übersetzt von Rita Seuß. C.H. Beck 2017. € 24,95.

Das Zitat stammt von S. 204

9 Gedanken zu “Sarah Bakewell: At the Existentialist Café”

  1. Habe das Buch auch sehr gerne gelesen und im Übrigen auch in der deutschen Übersetzung, da stimme ich Dir völlig zu. Habe mir gerade (auch in deutscher Übersetzung) Bakewells Buch zu Montaigne gekauft und freue mich schon sehr darauf. Liebe Wochenend-Grüße 🙂

    Gefällt 1 Person

  2. Ich habe viel zu wenig Ahnung vom Existentialismus, um feststellen zu können, wer von den beiden das größere Genie war, aber mein Feministinnenherz ärgert sich immer, wenn vom Paar Sartre/Beauvoir die Rede ist, weil die Rollen so klar verteilt waren: Er tut, was ihm gefällt, sie ist die treue Freundin, die an seiner Seite (oder auch mal weiter weg) arbeitet, Haltung bewahrt und ganz nebenbei auch noch gewissenhaft sein Leben protokolliert.

    In diesem Fall wäre mir die deutsche Übersetzung übrigens auch lieber als ein Original mit Heidegger-Übersetzungen.

    Like

    1. Hallo Niamh,
      so klar finde ich die Rollen bei den beiden nicht verteilt. Beide lebten lange Jahre in dieser Partnerschaft, aber es hatten ja auch beide ihre Affären, und das zum Teil über sehr lange Zeit. Es stimmt aber, dass Beauvoir sich wohl mehr um Sartre „kümmern musste“ als er um sie. Aber beide haben ja auch durchaus eigenständig gearbeitet. Ich stimme dir zu, dass das oft untergeht. Beauvoir wird in dieser Beziehung manchmal dargestellt, als sei sie Sartres Sekretärin oder Gesellschafterin gewesen. Das wird bei Bakewell wie ich fand aber ganz differenziert dargestellt. Für die Zeit, in der sie lebten (und eigentlich bis heute), war ihre Form der Beziehung und des Zusammenlebens sensationell emanzipiert.

      Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.