Christopher Ecker: Andere Häfen

Als vor einigen Monaten der Mitteldeutsche Verlag ankündigte, im Herbst einen Band mit Erzählungen von Christopher Ecker zu veröffentlichen, war ich zumindest skeptisch. 87 Kurzgeschichten auf guten 200 Seiten? Klingt hart. Ist auch hart. Mein Lieblingsbuch von Christopher Ecker (und eines meiner Lieblingsbücher überhaupt) ist der über 1000 Seiten dicke Fahlmann und Ecker wäre nicht der erste Autor, der fantastische Romane aber gnadenlos blöde Kurzgeschichten schreibt. Nicht selten hört man ja, die wahre Qualität eines Autors ließe sich an den „Kleinen Formen“ messen.

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Ecker würde diese Qualitätsprüfung problemlos bestehen. Die Texte in diesem Buch unter einem Begriff zu subsumieren, ist eigentlich nicht möglich. Ich hatte gehofft, der Verlag würde „Kurzgeschichten“ unter den Titel schreiben oder „Erzählungen“. Hat er aber nicht. Kurze Texte sind es also. Einige dieser kurzen Texte sind wirklich klassische Kurzgeschichten, sowohl in Aufbau und Länge. Einige der Texte sind extrem kurz und bringen es kaum auf eine Seite, sind also eher Microfiction. In manchen Texten passiert auch so wenig, dass es eher Bilder als Erzählungen sind, vielleicht sogar Vignetten. Zum Glück kann Ecker so gut schreiben, dass die paar Sätze ausreichen, um Szenerien und Charaktere zu erschaffen, um Absurdität und Hoffnungslosigkeit auszudrücken. In vielen Texten ist es dann auch das Ausgelassene, das nicht Gesagte, was einen kalt erwischt und völlig umhaut.

Grund zu Fröhlichkeit und Hoffnung bestehen in keinem seiner Texte, die allesamt recht nihilistisch sind. Viele Charaktere befinden sich in so grund- und hoffnungslosen Situationen, dass es an Kafka erinnert. Ziemlich witzig sind trotzdem einige der Texte. Wer Ecker schon kennt, wird außer dem tonangebenden Nihilismus auch einige andere Motive wiederfinden. Körperöffnungen in Wänden und Böden, unterirdische Städte,  aus deren Wänden Eiter tropft, gelegentliche SciFi-Elemente. Sogar das Floß der Medusa kommt nochmal vor. Und nichts davon verliert in diesen Texten seine verstörende Kraft. Eine große Freude sind auch die Reflexionen über das Schreiben und das Lesen an sich.

„Und sind es nicht andererseits gerade solche Einschübe, die alles zerstören, so dass man sich wünschte, im 19. Jahrhundert zu leben, als jede Geschichte noch einen erkennbaren Anfang und ein echtes Ende hatte und nicht die höhnische Bloßlegung unseres Unvermögens war, die Welt zu verstehen und Geschichten sowieso?“

In „Vor der Versammlung“ lässt Ecker einen seiner Charaktere kritisieren, der Texte seien „‚für diese Leute eher eine Ablenkung als eine‘, er suchte nach dem mot juste, ‚Herausforderung'“ (162). Bei Andere Häfen muss man die Herausforderung annehmen. Die Texte sind so divers, dass man nie ahnen kann, was einen nach dem Umblättern erwartet. Die Länge, die Themen und die Formen sind so unterschiedlich, dass man sie nicht einmal im gleichen Buch erwarten würde. Dennoch darf man nicht unaufmerksam werden, denn einige Bilder und Orte kehren wieder. Wer nicht aufmerksam genug liest, verpasst die Verbindungen zwischen den Geschichten – so es sie denn überhaupt gibt. Abschließend geklärt wird hier gar nichts.

Andere Häfen ist, wie sollte es auch anders sein, weniger komplex als Eckers Romane, deswegen aber nicht weniger gut, und alles, was ich an diesem Autor so schätze, ist auch in diesem Band zu finden. Und auch die Sachen, die ich weniger schätze – diese Körperöffnungen-Sache ist mir echt ne Nummer zu hart. Für alle, die sich wegen Dicke (Fahlmann) oder Ekel (Der Bahnhof von Plön) bisher nicht für Ecker entscheiden konnten, ist das hier der perfekte Einstieg.


Christopher Ecker: Andere Häfen. Mitteldeutscher Verlag 2017. 233 Seiten, € 16,95.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Das Zitat stammt von S. 223

9 Gedanken zu “Christopher Ecker: Andere Häfen”

  1. Dieses wundersame Buch liegt auch schon bei mir; weit bin ich aber – trotz aller Begeisterung, die das bisher Gelesene in mir wachrief – noch nicht gekommen. Bei mir ist gerade übertrieben viel los, und meine Sorge ist, die Texte zu verschwenden, wenn ich sie mit halber Aufmerksamkeit lese. Deine Eindrücke teile ich aber schon nach den ersten Seiten: Die Diversität, das Kafkaeske, der Witz, der Nihilismus… Ein tolles Buch.

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    1. Das es dir gefällt, freut mich sehr. Das Gute an Bänden dieser Art ist ja, dass man sie ohne weiteres länger liegen lassen kann, ohne den Faden zu verlieren.

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  2. Hey,

    ich habe gerade „Andere Häfen“ rezensiert und würde mich freuen, dich mit verlinken zu dürfen.

    Für mich war es das erste Buch des Autors, weshalb ich wohl etwas weniger kritisch an die Geschichten heranging. Trotzdem habe ich deine Rezension mit Freude gelesen, auch wenn wir vielleicht andere Ansichten vom Buch haben.

    Liebe Grüße

    Anja

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      1. Ich fühle mich trotzdem im vergleich zu euch fast schon naiv. Ihr konntet Vergleiche mit anderen Autoren oder sogar Stilrichtungen erbringen, die mir im Leben nie eingefallen wären und die ich tatsächlich erst einmal googlen musste.

        Zudem habt ihr hinter der Geschichte etwas gesehen, was ich selbst mit weit aufgerissenen Augen nie finden würde, da es mir noch nie gelang irgendetwas aus einem Text zu interpretieren.

        Hilfe klingt das schlimm … aber immerhin ist es ehrlich. 🙂

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        1. So geht es mir aber auch oft genug. Ich lese auch oft Rezensionen von Titeln, die ich besprochen habe und ärgere mich ein bisschen, dass ich das Buch entweder nicht so gut erfasst habe oder nicht so gut beschreiben konnte. Da muss man durch 🙂

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