John Marzluff und Tony Angell: Gifts of the Crow

Manchmal, wenn man so nebeneinander sitzt und schweigt, sagt jemand ‚erzähl doch mal was‘. Ich erzähle dann oft folgende Geschichte: Eine Krähenpopulation in England weiß, dass in Kälberausscheidungen ein Enzym ist, das sie gut gebrauchen können. Kälbermägen können dieses Enzym nicht aufspalten und scheiden es einfach aus. Die Krähen haben gelernt, dass Kälber fast immer kacken müssen, wenn sie aufstehen. Das wusste ich zum Beispiel nicht. Deshalb fliegen die Krähen auf die Weide und nerven die Kälber bis sie aufstehen. Krähen sind sehr kluge Vögel.

Ich weiß überhaupt nicht, warum ich immer diese Sache erzähle, ich habe nun wirklich Spannenderes erlebt. Diese Krähengeschichte möchte ich aber gerne mit vielen Leuten teilen, weil sie so klug sind. Wenn meine Gesprächspartner nicht hinreichend beeindruckt sind, erzähle ich auch noch folgende Geschichte: An der Universität von Washington gibt es einen Mann namens Marzluff, der ist Krähenforscher. Der hat sich eine Maske aufgesetzt und hat die Krähen auf dem Campus geärgert. Die Kinder der Krähen hat er dann nicht mehr geärgert. Trotzdem hat auch die nächste Krähengeneration die Maske gehasst, weil die Eltern ihnen das beigebracht haben. Auch neu auf dem Campus zugezogene Krähen haben sehr schnell gelernt, die Maske zu hassen, obwohl sie nichts mehr gemacht hat. Krähen lernen über soziale Netzwerke, was für Tiere sehr selten ist. Wenn mein Gesprächspartner dann immer noch nicht beeindruckt ist, leere ich mein Glas und gehe. Manche Leute!

Marzluff_GiftsOfTheCrow

John Marzluff ist mit diesem Experiment, dem Caveman-Experiment, benannt nach eben dieser Maske, bekannt geworden. Seine Forschung reicht natürlich aber weit darüber hinaus. Er selbst beobachtet Krähen, untersucht ihre Hirnaktivitäten und sammelt akribisch die Beobachtungen, die andere Menschen gemacht und mit ihm geteilt haben.

Wenig überraschend kommen er und sein Team in ihren Forschungen zu dem Schluss, dass Krähenvögel ganz schön schlaue Vögel sind, allerdings mit nicht unbedeutenden Schwankungen zwischen den unterschiedlichen Unterarten. Aber nahezu alle getesteten Krähenvögel waren beispielsweise in der Lage, spontan und ohne Vorbild aus einem Draht einen Haken zu formen, um mit dessen Hilfe einen Gegenstand aus einem hohen Glas zu angeln. Krähen können Werkzeuge also nicht nur nutzen, sondern auch bauen.

„Crows know us and are not afraid to voice their opinion.“

Interessant werden die Krähen ja aber vor allem in der Interaktion mit Menschen. Und die laufen nicht immer positiv ab. Immerhin gelten Krähen vielen auch als Unglücksboten und werden vielerorts bejagt, oft auch aus Sorge um Feld und Vieh. Und manchmal geht es auch schlicht um Lärm und Schmutz.

Viele Menschen haben aber auch ein großes Interesse an den Vögeln, halten sie als Haustiere oder füttern sie an. Und wer eine Krähe einmal zum  Freund hat, der wird sie auch so leicht nicht mehr los. Viele Menschen berichten, dass ‚ihre‘ Krähen ihnen Geschenke bringen, kleine Steine, Muscheln oder tote Nagetiere. Umgekehrt wird man aber eine verärgerte Krähe auch nur sehr schwer los. Eine Frau berichtete dem Forscherteam, dass sie in ihrem Garten eine tote Krähe fand, die sie unter dem erbosten Geschrei des Schwarms beerdigte. Die hinterbliebenen Vögel verbanden sie anschließend mit dem Tod ihres Kumpanen und schrien empört, sobald sie das Haus verließ. Einige Vögel griffen sie sogar an. Ein Mann hatte so viel Ärger mit einer Krähe, die in der Nähe seines Hauses lebte, dass er schließlich umzog.

Marzluff macht bei diesen Anekdoten aber natürlich nicht Halt. Er nimmt sie als Grundlage, um das Verhalten der Vögel systematisch zu untersuchen und möglichst umfassend zu verstehen. Der wissenschaftliche Anspruch des Buchs ist tatsächlich nicht zu unterschätzen. In etlichen Kapiteln geht es nur im Gehirnfunktion und die letzten 80 der rund 280 Seiten sind Anhang und Literaturverzeichnis. Wer auf Amygdala und Hypothalamus keine Lust hat, wird an diesem Buch wenig Freude haben. Wenn man aber die Nerven hat, sich da durchzuwühlen, ist Gifts of the Crow ein sehr lesenswertes und aufschlussreiches Buch, das einem viel über diese smarten Tiere beibringt.


Tony Marzluff und Tony Angell: Gifts of the Crow. Atria 2013. 287 Seiten, ca. € 14,-.

Das Zitat stammt von S. 191.

13 Gedanken zu “John Marzluff und Tony Angell: Gifts of the Crow”

  1. Das klingt total interessant! Ich habe gerade Jennifer Ackermans „Genies der Lüfte“ ausgelesen, in dem natürlich auch die Krähen als Beispiel für Intelligenz bei Vögeln beschrieben werden. Die Autorin ist selbst Hobbyornithologin und hat mit vielen Wissenschaftlern, darunter Tony Marzluff, gesprochen. Sie bringt eine Fülle von Beispielen für die genialen Fähigkeiten der Vögel. Da geht es auch um Kommunikation, räumliche Orientierung, technische Fähigkeiten (wieder die Krähen) und Kunst. Ein tolles Buch, das dir auch gefallen könnte.

    Gefällt 1 Person

    1. Oh, das Buch klingt super! Wird notiert. Kennst du zufällig schon „Rabenschwarze Intelligenz“? Eine Kollegin von mir ist sehr angetan davon.
      Von und über Marzluff gibt es natürlich auch diverse Videos, u.a. ist natürlich auch das Masken-Experiment online und dieser TED-Talk, der zumindest alle wichtigen Basics hat: https://www.youtube.com/watch?v=0fiAoqwsc9g

      Gefällt 2 Personen

      1. Das Buch von Reichholf kenne ich nicht, habe aber schon viel gutes darüber gehört. Vielen Dank für den Link zum TED-Talk! Der passt auch perfekt zu den Dingen, die Ackerman in ihrem Buch beschreibt.

        Gefällt 1 Person

  2. Muss ich ahben. Danke dir! ich liebe Krähen/Rabenvögel/Raubvögel. Leere daher mein Glas mit dir um zu gehen 😉

    Gefällt 1 Person

  3. Witzige Sache. Da Krähen ja sonst gerne im Horror-Genre auftauchen (Stephen King hat da DEFINITIV eine Thematik), scheinen viele Leute diese Intelligenz eher gruselig zu finden. Wirklich interessant.

    Gefällt 1 Person

    1. Stimmt. Ich habe mich letztens mit einer Kollegin in der Mittagspause über Krähen unterhalten, und wie klug die sind und so, bis eine weitere Kollegin uns gebeten hat, nicht mehr darüber zu sprechen, weil sie solche Angst vor denen hat. Und als Todesboten u.ä. sind sie ja auch recht beliebt.

      Like

  4. Wunderbar! Während meiner Zeit in Karlsruhe habe ich gelernt, auf dem Schlossplatz immer vorsichtig zu sein, wenn Krähen auf dem Giebel des Schlosses sitzen. Die klugen Vögel nutzen nämlich die Kombination aus Höhe und hartem Sandsteinboden, um allerlei Nüsse herumzuwerfen und unten aufzupicken. Rücksicht auf die dummen Zweibeiner, die da in die Schusslinie latschen, nehmen die Vögel selbstverständlich nicht.
    Die Krähen waren dann letztlich auch die Erklärung, wie die McDonalds-Ketchuptüte in die Dachrinne gekommen ist …

    Gefällt 1 Person

    1. Bei meinem letzten Job lag der Pausenraum direkt über einem Flachdach, obendrüber war noch die Buchhaltung. Irgendwann sammelten sich mehr und mehr leere Joghurtbecher, Obstreste, Konservendosen auf dem Dach. Ungefähr eine Woche zweifelte ich, ob die Ladies aus der Buchhaltung jeden Funken Anstand verloren hatten, bis ich in einer Pause eine Krähe beobachtete, die super happy mit dem nächsten Stück Müll ankam. Sorry, Buchhaltung.

      Der Dom hier hat übrigens nur Tauben, von denen mich heute morgen fast eine vollgekackt hätte. Also auch nicht unriskant.

      Gefällt 1 Person

  5. In der Reihe Naturen gibt es auch einen schönen Band über Krähen von Cord Riechelmann. Er beschreibt darin einen Kampf zwischen Habichten und Krähen. Was so lustig für mich war, ich hatte das Geschehen selbst zwar nicht gesehen, aber gehört, weil es sich im Kreuzbergpark zutrug, an dem ich wie der Autor wohne. Ich habe mir gemerkt, dass Krähen ein enormes Gedächtnis für Menschengesichter haben (wer könnte das umgekehrt von sich über Krähengesichter sagen?) und begegne ihnen seitdem mit sehr viel Respekt. Danke für den guten Tipp!

    Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.