#einwortgibt Möglichkeiten

Unter dem Hashtag #einwortgibt organisiert das Literaturfest München gerade eine Blogparade zur Sprache und ihren Möglichkeiten bzw. Grenzen. Dazu halte ich auf Anfrage (und auch ungefragt) einen bunten Strauß von Kurzreferaten bereit, möchte mich an dieser Stelle aber auf den literarischen Bezug konzentrieren.

Viele Menschen haben die ständige Sorge, dass die deutsche Sprache verfällt, verfälscht wird, missachtet wird, verfremdet. Das ist seit mindestens 300 Jahren so und die deutsche Sprache macht noch immer einen recht stabilen Eindruck. Sprache ist vielleicht das demokratischste, was die Welt zu bieten hat. Alle können sie nutzen und alle können sie verändern und theoretisch sind dem keine Grenzen gesetzt. Grundsätzlich kann jeder jederzeit Teil jeder Sprechergemeinschaft werden und dann auch Sachen verändern, zumindest für sich. Es ist mir absolut unverständlich wie man das nicht großartig finden kann. Sprache verfällt nicht, sie verändert sich. Sie wird verändert von denen, die sie sprechen, sie wird nicht gemacht, sie entsteht immer wieder neu. Wenn sie das nicht mehr kann, wenn die Welt eine Sprache überholt, dann ist sie hinüber und verloren. Überleben kann sie nur durch ständige Innovation.

Und die kann in jeder sprachlichen Situation stattfinden. Die oft bemängelte Verkürzung des Ausdrucks in Textnachrichten und der damit verbundene Verfall beispielsweise ist natürlich völliger Quatsch. Wer Ende der 90er in 160 Zeichen die große Liebe gestehen und ein Date klarmachen musste, hat sprachliche Innovation gelebt. HDGDL! Heute hat man dafür whatsapp und unendlich Platz, bei twitter aber auch nur 140 Zeichen um witzig und smart zu sein. Das ist ziemlich hart!

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Man kann natürlich nicht alles schön finden, was die Sprechergemeinschaft so macht. Aber so lange es nur ein ästhetisches Empfinden stört und niemand verletzt wird, muss man damit klar kommen, dass manche Menschen sehr oft Alter, krass und Fickscheiße sagen. Ja, damit meine ich jetzt vielleicht mich. Ich muss dafür damit klar kommen, dass Menschen Snack, herzhaft und schmusen sagen und X-Mas schreiben. Natürlich finde ich das schrecklich, aber ich gründe doch deshalb keinen Interessenverband, das ist doch hochgradig anmaßend!

Nun aber zurück zur Literatur im belletristischen Sinn. Diese nimmt die doppelte Rolle ein, dass sie Sprache sowohl konserviert als auch beeinflusst. Sie konserviert in der Regel nur einen besonders durchdachten und elaborierten Stil und ist kein Abbild der Alltagssprache, ist natürlich aber auch davon beeinflusst. Umgekehrt beeinflusst Literatur aber auch die Sprache der Rezipierenden, sowohl zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung als auch lange Zeit danach, vorausgesetzt sie wird weiterhin gelesen. Veraltete Begriffe bleiben so Teil des sprachlichen Repertoires, auch wenn sie sonst möglicherweise schon lange verschwunden wären, weil sie niemand mehr braucht oder sie durch Alternativen ersetzt wurden. Wer sie noch benutzen will, kann das natürlich machen, man muss ja aber nicht. Ich persönlich bedauere, im Alltag nicht öfter vom Vestibül sprechen zu können.

Ohne sprachliche Innovation wäre die Literatur mitunter ein ziemliches Trauerspiel, die Realität aber auch um ein paar Worte ärmer. Von Shakespeare wird gerne behauptet, dass er an die 10.000 Worte erfunden hätte, darunter road, lonely und monumental. Vieles davon ist Quatsch und Shakespeare ist nur die erste nachweisbare Quelle oder nicht mal das. Bei vielen Wörtern ist allen klar, dass sie aus Romanen stammen, unter anderem natürlich Hogwarts, Wilddruden, Wunschpunsch und Jabberwocky. Aber auch Cyberspace, Kofferwort, Roboter, Yahoo und Utopie haben ihren heutigen Bekanntheitsgrad Schriftstellern zu verdanken auch wenn natürlich nie ausgeschlossen werden kann, dass diese selbst die Wörter schon irgendwo anders gehört hatten. An Ihnen liegt es aber immerhin, dass wir sie heute noch haben und sie haben Wörtern oft eine neue Bedeutung verliehen. Ohne den Mut zu sprachlicher Innovation hätte man sich einige Strömungen wie den Dadaismus und große Teile der Lyrik auch gleich komplett schenken können. Hogwarts, bei dem vor zwanzig Jahren niemand an was anderes als Schweine und Warzen gedacht hätte, ist heute ein Sehnsuchtsort für alle, die lieber Zauberer wären. Die Utopie hat den literarischen Kosmos längst verlassen und hat Karriere als Vorwurf in vor allem politischen Kontexten gemacht. Und bei Yahoo denkt niemand mehr an die fiesen menschenähnlichen Gestalten, denen Gulliver auf seinen Reisen begegnet, sondern an… gibt es Yahoo eigentlich noch? Das hat man davon, wenn man Wörter von der Leine lässt.

#einwortgibt die Möglichkeit, etwas neues auszudrücken oder sogar zu erfinden. Das eigene Sprachvermögen setzt einem Grenzen der Ausdrucksfähigkeit und möglicherweise muss man mal etwas sagen, wofür es einfach kein Wort gibt, dann kann man ruhig mal eins erfinden. Kinder machen das die ganze Zeit. Man darf mit Sprache nicht so zimperlich sein, die kommt schon klar. Aber Bewegung muss halt da sein, das ist für die Weiterentwicklung von Sprache allgemein und Literatur im besonderen essentiell. Also bitte mal ein Hoch auf die sprachliche Innovation und kommt mal klar mit eurer Sprachpflege und Sprachkritik und Rumnörgelei, Sprache geht’s gut so lange sie gesprochen wird.

In diesem Sinne:

Beware the Jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!

13 Gedanken zu “#einwortgibt Möglichkeiten

  1. comp_lit_se 27. Oktober 2016 / 11:01

    Sehr schöner, lustiger, kluger Beitrag!
    „Krass“ ist übrigens kein besonders neues Wort; es entstammt der Studentensprache des 17. Jahrhunderts. Damals war es aber eher negativ konnotiert (dick, grob, ungehobelt, ein krasser Fuchs = junger Student ohne Lebensart).
    Zu der unnötigen Sorge um die deutsche Sprache fällt mir ein Absatz aus Dieter E. Zimmers „Redens Arten“ ein: „Wenn ich das Wort Sprachkritik höre, kommt mir immer ein Bild vors Auge. Ein Mann schlummert im Löwenzahn am Bahndamm, ein Zug kommt vorbei und weckt ihn, und er springt erbost auf, schüttelt die Faust, ruft ihm etwas zu, das der Lärm verschluckt, indes der Zug schon immer kleiner wird. Die Sprache schert sich wenig um die noch so tief empfundenen Vorwürfe des Sprachkritikers Sie verändert sich in einem fort und läßt sich nicht aufhalten von der Entrüstung über ihren unsteten Wandel. Denn eben darauf läuft Sprachkritik oft hinaus: daß die Sprache nicht mehr ist, was sie einmal war. Das Sprachgehör ist konservativ. Es mag nicht, was es nicht gewöhnt ist.“ (Dieter E. Zimmer: Redens Arten. Über Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch, Haffmans 1986)
    Mein Sprachgehör ist überhaupt nicht konservativ – ich liebe sprachliche Innovationen genauso wie halb vergessene Wendungen und kuriose Wegwerfwörter (die vielleicht nur einmal passen, dann aber perfekt). Ist doch toll, dass unsere Sprache das alles kann! Und was andere Sprachen besser können, kann man auch ruhig einflechten. Dieses Gejammere über Anglizismen ist komplett sinnlos.
    Jedenfalls vielen Dank für den Beitrag; die Aktion #einwortgibt ist überhaupt total spannend. Ich habe auch schon was im Hinterkopf, weiß aber noch nicht, ob es für einen brauchbaren Beitrag reicht.
    Liebe Grüße
    Eva

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    • Marion 27. Oktober 2016 / 12:09

      Vielen Dank, auch für das sehr schöne Zitat!
      Ich hatte mal einen Dozenten an der Uni, der immer fragte „Können Sie das schon?“ wenn er über ein neues sprachliches Phänomen sprach. Dafür habe ich ihn sehr geliebt.

      Bei „krass“ meinte ich gar nicht, dass es so neu ist, aber ich habe den Eindruck, dass es für viele noch sehr jugendsprachlich aufgeladen ist und einen „Poser“-Einschlag hat. Viele verbinden das glaub ich mit Hiphop-Gangster-Gehabe. Für mich ist das ein völlig normales Wort, mit dem ich ausdrücke, dass ich überrascht bin oder etwas unglaublich finde. „Krass, oder?“ heißt bei mir was völlig anderes als das stereotype „Voll krass, Alter!“ Menschen, die so 15-20 Jahre älter sind als ich, reagieren da aber oft sehr überrascht, weil es für sie eben kein Teil eines Standard-Wortschatzes ist.

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      • comp_lit_se 27. Oktober 2016 / 12:54

        Für mich ist „krass“ auch ein völlig normales Wort. Ich wollte auch nicht so sehr betonen, dass es alt ist (obwohl ich sagen muss, dass ich das krass fand, als ich vor ein paar Jahren gelernt habe, das es so alt ist), vielmehr, dass es kein Hiphop-Slang ist, sondern als Lehnwort aus dem Lateinischen eigentlich zur gehobenen Sprache gerechnet werden könnte. Ich fand einfach die Diskrepanz lustig zwischen der Geschichte des Wortes und der Wahrnehmung, die manche Leute, wie Du ja auch schreibst, von dem Wort haben.

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        • Marion 27. Oktober 2016 / 12:59

          Krasser Fuchs klingt, je länger ich darüber nachdenke, immer mehr nach einem Kompliment. „Du bist ja ein krasser Fuchs!“ klingt für mich eher als wäre jemand sehr, sehr klug.

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          • comp_lit_se 27. Oktober 2016 / 13:06

            Ja, finde ich auch, jetzt wo Du’s sagtst! Fuchs ist halt in *würg* Burschenschaften die Bezeichnung für Erstsemster; die sind in der Hierarchie gar nichts und werden von den Älteren fertig gemacht. Ganz toll.
            Aber als Kompliment ist es viel besser!
            Außerdem bringt Fuchs bei Frauen noch die Foxy Lady Assoziation mit, auch nicht unbedingt schlecht.

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            • Tobias Illing 27. Oktober 2016 / 16:54

              Das ist nicht korrekt. Fuchs ist die Bezeichnung für Mitglieder auf Probe, nicht zwingend Erstsemester. Fertig gemacht werden die sicher auch nicht, das war mal so im Pennalismus und vielleicht noch im „Untertan“. Übrigens ist der Begriff „Fuchs“ für einen Studienanfänger älter als die Burschenschaften und wurde von denen nur übernommen. Der „Krassfuchs“ ist dabei der Fuchs im ersten von üblicherweise zwei Semestern auf Probe. Woher die Bezeichnung ursprünglich stammt, entzieht sich aber auch meiner Kenntnis.

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    • LiteraturfestMünchen (@litmuc) 29. Oktober 2016 / 12:00

      Schön, dass dir unser Thema gefällt! Wir sind natürlich sehr gespannt, was da in deinem Hinterkopf schlummert… krasse (im positiven Sinne) Grüße, Max Westphal für #litmuc16 und #einwortgibt

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  2. Tobias Illing 27. Oktober 2016 / 11:52

    Schlimmer wäre noch, „X-Mas“ zu sagen. („Krissmäss“? „Ikks-Mäss“? What a mess.)

    Ich ertappe mich diesbezüglich selbst bei gleich zwei Dingen: Zum einen schimpfe ich angesichts der aktuellen Jugendsprache über den Untergang des Abendlandes, und zum anderen mache ich es selbst stellenweise nicht viel besser. Alter.

    Was den vermeintlichen Verfall angeht, bin ich ganz bei dir. Ich glaube, in dieser Diskussion würde – wie so oft – etwas Abstand, vielleicht eine Prise mehr Ironie und vor allem deutlich mehr Ruhe schon Wunder wirken. Eine Sprache stirbt nicht in ein paar Monaten aus, auch nicht in ein paar Jahren. Jede Sprache hat ihre Moden und Spleens; kommt Zeit, kommt Veränderung. Was heute der zwanghafte Drang zum Englischen, war noch bis vor hundert Jahren das Französische. Das fand schon damals sogar Einzug in jene Literatur, die wir heute als Klassiker und große Vorbilder verehren. Fontane, Thomas Mann … You name it!

    Um deinen Schlussgedanken etwas fortzuführen, wäre eventuell ein Blick in die Science Fiction interessant. Es ist ja nicht nur George Orwell auf die Idee gekommen, auch eine gewisse Entwicklung der Sprache vorwegzunehmen. Apropos, hast du den Hoopy Ford Prefect gesasst? Das ist ’n Frood, der weiß echt, wo sein Handtuch ist.

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    • Marion 27. Oktober 2016 / 12:22

      Stimmt! Hoopy Frood! Das hatte ich völlig verdrängt.

      Englische Einflüsse sehe ich auch völlig entspannt. Ich glaube auch nicht, wie oft bemängelt wird, dass unbedingt Menschen ausgeschlossen werden. Englische Begriffe kommen ja oft zeitgleich mit den Gegenständen, die sie bezeichnen und dass meine Tante nicht weiß, was ein Tablet ist, liegt nicht daran, dass sie kein Englisch spricht. In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, haben sich sehr viele französische Begriffe gehalten und auch ohne jede Fremdsprachenkentnisse habe ich als Kind verstanden, wo ich zu sein hatte, wenn ich auf dem Trottoir bleiben sollte.

      Gegen die Verfremdung der deutschen Sprache hat ja im 17. Jahrhundert schon die Fruchtbringende Gesellschaft gekämpft. Die Buchbesprechung haben sie ja durchgekriegt, aber dass die Dörrleiche nicht die Mumie ersetzt hat, ist ewig schade.

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      • Tobias Illing 27. Oktober 2016 / 12:44

        Hach, Trottoir. Das wird sogar im Oberfränkischen genutzt, dort aber völlig ironiefrei eher „Droddwar“ ausgesprochen, was es umso herziger macht. Und manche Anachronismen sollte man aus reinem Trotz einfach weiter verwenden.

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        • Marion 27. Oktober 2016 / 12:55

          Mit korrekter Aussprache hält man sich in Rheinhessen auch nicht. Trottwa, das.

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  3. Stephanie Jaeckel 29. Oktober 2016 / 9:51

    Es ist ja auch so, dass man (oder zumindest ich) beim Schreiben oft mit Situationen oder anderem konfrontiert bin, die geradezu nach neuen Wörtern schreien. Die wiederum müssen ja nicht gleich in den Duden kommen. Aber es macht mir Spass, sie zu finden (wobei Verständlichkeit die allererste Pflicht ist), und umgekehrt freue ich mich, solche Wörter bei anderen zu lesen. Wenn Sprache nicht elastisch ist, tja, dann würde ich sagen, ist sie tot.

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  4. LiteraturfestMünchen (@litmuc) 29. Oktober 2016 / 11:58

    Danke für deinen spannenden Beitrag zu unserer Blogparade! Wir sind da natürlich ganz Deiner Meinung und hoffen auf viele neue Wortentdeckungen und Wortneuschöpfungen während des Literaturfestes… und vorher noch mit hoffentlich vielen weiteren Beiträgen zur Blogparade – das Spektrum weitet sich ja jetzt schon 🙂

    Viele liebe Grüße, Max Westphal für #litmuc16 und #einwortgibt

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