Bob Dylan hat den Nobelpreis für Literatur bekommen, das wissen ja mittlerweile wirklich alle. Dazu habe ich keine dezidierte Meinung, weil mich der Nobelpreis an sich nicht besonders interessiert. In den letzten Jahren habe ich nur Mo Yan gelesen und fand es gut. Modiano habe ich nach dreißig Seiten aus Langeweile und Desinteresse abgebrochen.
Ein kleines bisschen hat es mich erleichtert, dass es ein Musiker war, das erspart mir Leute, die im Laden stehen und völlig entsetzt fragen „und von dem haben sie überhaupt nichts da?!“ Nein, habe ich nicht. Würde es irgendwann mal Murakami, hätte ich natürlich was da, würde es Thiong’o hätte ich natürlich nichts da, weil ich genau einen Kunden habe, der den kauft. Dem bestelle ich alle neuen Titel, er freut sich und gut ist. Würde Thiong’o den Nobelpreis bekommen, würde dieser eine Mann sich freuen und vielleicht eines der Bücher nochmal lesen, die er ohnehin schon zu Hause hat. Dafür hätte ich auch dreißig Leute im Laden, die entsetzt sind, dass ich nichts von einem Autor am Lager habe, von dem sie gestern in der Tagesschau das erste Mal gehört haben und den sie vielleicht für einen Koreaner halten. Die Anzahl der Menschen, die entsetzt waren, weil ich nichts von [pet-rik] [mou-di-ai-nou] am Lager habe, war wirklich zu hoch. Gute Frau, nachdem Sie ohne einen Roman dieses Mannes offenbar keinen Tag mehr leben können, sollten Sie vielleicht wenigstens wissen, dass er Franzose ist.
Im letzten Jahr hatte ich auf einem anderen Blog eine völlig fruchtlose Diskussion mit einer Dame, die sich sehr echauffiert hat, dass der von ihr besuchte Buchladen nichts von Alexijewitsch am Lager hatte. Ihr selbst war nicht bewusst, dass die Autorin zwei Jahre zuvor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hatte, war aber jetzt ihr größter Fan und es war ihr unverständlich, warum nicht ihr Gesamtwerk in jeder Buchhandlung steht.
Damit möchte ich natürlich nicht sagen, dass man als kultivierter, belesener Mensch jeden Autor und jede Autorin kennen muss, die nobelpreisverdächtigte Literatur produzieren. Wer hatte denn 2011 bitte Tranströmer auf dem Schirm? Und wer erinnert sich an Nagib Mahfuz? Modiano kauft ja jetzt schon keiner mehr.
Aber wenn jemand einen Preis bekommt, muss natürlich sofort das Buch her, weitere Erkundigungen sind nicht nötig, wird schon gut sein. Als Jan Wagner für Regentonnenvariationen den Preis der Leipziger Buchmesse bekam, hatte ich ihn natürlich nicht da, weil hier nun wirklich niemand Lyrik kauft, außer es ist Rilke. Das Entsetzen war groß, dafür wurde dann gekauft als das Buch wieder lieferbar war und mehrere (!) Leute kamen am nächsten Tag zum Umtauschen wieder und sagten in vorwurfsvollem Ton „das sind ja Gedichte!“ Was soll ich sagen…
Letztes Jahr habe ich den manisch-depressiven Teenager den ganzen Tag unterm Arm gehabt und habe allen Leuten gesagt „sehen Sie, das ist das beste Buch, das dieses Jahr in deutscher Sprache erschienen ist und es ist noch früh im Jahr, aber es wird nichts besseres mehr kommen, weil es fast unschlagbar ist und von Ecker kommt dieses Jahr wohl nichts mehr.“ Gekauft hat es trotzdem kaum jemand weil dick und teuer. Sobald es den Buchpreis hatte kamen natürlich alle und sagten „dieses Buch, das sie mir vor ein paar Wochen empfohlen haben…“ und ich sagte „ist jetzt ausverkauft und Sie haben es ohnehin nicht verdient, Sie Kretin!“ Sagte ich nicht. Ich habe natürlich alles vorgemerkt und die Hälfte hat es dann doch nicht gekauft weil „Oh Gott, so dick ist das?!“ Ja, so dick ist das. Sagen Sie, haben Sie irgendeine Rezension darüber gelesen? Ahnen Sie, worum es geht?
Ich übertreibe. Natürlich ist es völlig okay, wenn man von einem Buch erst erfährt, weil es einen Preis bekommt. Besonders bei englischsprachigen Büchern geht es mir oft auch nicht anders, weil ich nicht den kompletten anglophonen Literaturmarkt überblicken kann, ich schaffe den deutschen ja schon nicht. Niemals hätte ich Lisa McInerney gelesen, hätte sie nicht den Baileys Prize bekommen. Short- und Longlists können gute Anregungen geben, Auszeichnungen können das Interesse auf weniger bekannte Titel lenken, die damit mehr verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Das alles ist verdienstvoll und ich habe überhaupt gar nichts gegen Literaturpreise. Wenn jemand alle Werke aller Literaturnobelpreisträger lesen will, ist das sicher ein interessantes Projekt – nicht meins, aber sicher gar nicht unspannend. Es gibt nun aber tatsächlich eine Menge Leute, die finden, sie bräuchten jetzt und sofort was von Tranströmer weil er nun Literaturnobelpreisträger ist. Und dann ist die Buchhandlung eben doof, wenn sie nichts von diesem bedeutenden Lyriker am Lager hat. Du hast fünfzig Jahre deines Lebens nicht gewusst, wer Tranströmer ist (seien wir ehrlich – niemand wusste das), du wirst es weitere zwei Wochen ohne ihn schaffen. Was soll denn diese Aufregung?
Noch mehr auf die Palme bringen mich nur Leute, die ein Buchhändler-Quiz draus machen, um zu gucken, ob man weiß, wer den Preis gekriegt hat. „Ich suche das Buch, das gestern in Oldenburg den evangelischen Jugendbuchpreis gewonnen hat. Haben sie das noch nicht da? Warum kennen sie das denn nicht?!“ Aus Gründen. Aus sehr vielen Gründen kenne ich das nicht.
Mal sehen, wer heute den Buchpreis bekommt. Ich habe seit Wochen die Long- und Shortlist am Lager, sie stehen aufmerksamkeitsheischend im Eingangsbereich. Verkaufszahlen der Shortlist bisher: Kirchhoff x2, Winkler x5, der ganze Rest nicht ein einziges Mal. Überhaupt kein einziges Mal. Von der Longlist rede ich erst gar nicht, da muss ich weinen. Aber morgen ist dann Drama, wenn meine drei Anstandsexemplare um 11 Uhr verkauft sind, ich weiß es jetzt schon.
Das Bild zeigt mit Auszeichnungen werbende Cover aus meinem Bücherregal, im Uhrzeigersinn: Ali Smith: How to be Both, Anne Tyler: A Spool of Blue Thread, Eleanor Catton: The Rehearsal, Sunjeev Sahota: The Year of the Runaways, Ali Smith: The Accidental, Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy, Sarah Waters: Fingersmith.
Eine schöne Realsatire, wenns nicht allzu real wäre. Und zu Modiano und Franzose fält mir die folgende Geschichte ein, ein Freund ist einmal als Teenager in eine Buchhandlung gegangen und hat gefragt: Haben sie etwas von, jetzt Lautschrift: [äl:bört kaymous]? Wohl stolz auf seine englische aussprache. Ich muss ihn in Schutz nehmen, er lebte weit ab, aufm Land und hat wohl irgendwo etwas über Die Pest gelesen. Ach ja, und dass Bücher zurückgegeben wurde, weil es sind ja Gedichte! Skandal, dass in Büchern Gedichte stehen könnten!
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Geschenkt! Man kann ja echt mal was falsch aussprechen, ich mach das sicher auch, aber dann muss man halt nicht so tun, als wüsste man mehr über Literatur und sei klüger als der blöde Buchhandel, der diesen Autor von Weltliteratur nicht mal am Lager hat.
Letztens war ein Mädchen da, so ca. 16, die mir ein Buch vor die Nase gehalten hat, ich weiß gar nicht mehr genau, was es war, deutsche Autorin und Sommergeschichte an der Nordsee auf jeden Fall.
„Haben Sie das auf Englisch da?“
„Nein, das gibt es leider gar nicht auf Englisch.“
„Aber ALLE Bücher sind erst Englisch!“
Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie vom Gegenteil überzeugen konnte…
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ALLE Bücher sind erst Englisch! wäre ein schöner Titel.
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Ich finde überhaupt nicht, dass du übertreibst. Ganz im Gegenteil.
Danke für diesen kleinen Auslass über die Preise. Ich würde gerne noch ergänzen, dass ich die allermeisten Preise an sich mittlerweile banal, bedeutungslos, arbiträr und überflüssig finde. Es gibt Preise aller Art von jedem und seinem Hund, jede kleine Sparkasse vergibt irgendeine Auszeichnung und die „Großen Preise“ sind meist so abgehoben, dass sie im Grunde nur jene Situationen produzieren, die du oben so wunderbar treffend beschreibst. Keiner kennt die Autoren, keiner will die wirklich dicken Bücher lesen und erst recht will niemand so wirklich was mit Lyrik zu tun haben. „Äh, das sind ja Gedichte?!“
Ich weiß, dass Preise wichtig sind. Und ich weiß auch, dass sich jeder Autor freut. Verdammt, ja, ich würde mich ja auch freuen. Aber der ganze Bohei, der um die Preise gemacht wird, ist doch einfach überflüssig.
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Ich finde es auch absurd. Offenbar geht es da ja primär darum „mitreden“ zu können. Fragt sich nur, mit wem darüber reden will, ich habe oft nicht den Eindruck, dass die Bücher dann auch wirklich gelesen werden.
In den letzten Jahren habe ich für mich die Erfahrung gemacht, dass der Baileys Prize (ehemals Orange) meinen Geschmack oft trifft. Ich weiß nicht weshalb, aber das geht in eine Richtung, die ich interessant finde und deshalb lese ich gerne Bücher, die dort nominiert sind, auch wenn ich oft erst skeptisch bin – bisher wurde ich jedes mal überzeugt. Irgendwann wird natürlich auch das schief gehen und ich werde langweiligen Schrott gekauft haben.
Umgekehrt habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass der Deutsche Buchpreis echt nicht so meins ist. Witzel letztes Jahr war das erste mal, dass ich von einem Preisträger überzeugt war, ansonsten interessiert und begeistert mich da meistens nur wenig.
Ich finde es völlig legitim, Preise als Anregung oder Vorschlag zu begreifen, aber ich kauf doch keinen Lyrikband, wenn ich überhaupt keine Lyrik lese und auch keine lesen will, nur weil der irgendeinen Preis gewonnen hat! Damit ich dann beim nächsten Essen mit Freunden erzählen kann, dass ich es gelesen habe und es „wirklich eine Offenbarung“/“hoffnungslos überschätzt“ finde. So doof sind meine Freunde auch nicht, dass sie mir das abkaufen.
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Oh ja, aber unterschätze nie die Leute, die zwar ein volles Bücherregal besitzen, davon aber praktisch nichts selbst gelesen haben.
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Ein Edit der mir aus dem Herzen spricht & mehr als Real ist.
Dieses kaufen & lesen nach Preisen erscheint mir eine völlig kranke Eigenschaft.
Der Inhalt und die tiefe eines Textes hat damit nichts zu tun.
Zuweilen braucht wohl die Masse der Trägheit dies. Eigenständges Entdecken & Erkunden geht dabei verloren.
Wünsche gutes.
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Ach, ab und an mal nach Preisen schielen lässt auch entdecken.
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Ja würde ich auch nix dagegen sagen.
Obwohl ja auch die Preise sehr inflationär sind.
So handelt ein jeder wie sein Geist reif.
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*Kicher*. Kl. Anekdote: Ich wohne im Kreis Calw, in Calw selbst treiben sie dank Lindi ein großes Bohei um Hermann Hesse. Bin dann mal, weil in Eile in nahgelegensten Städtchen in die dort ansässige christl. sektiererische Buchhandlung des Jugendmissionswerk gegangen um gschwind als Geb. Geschenk den gewünschten Siddartha zu kaufen. Hatten sie nicht, ok, no Problem, aber dass sie H. Hesse nicht mal namentlich kannten hat mich in allen Vorurteilen doch heftig bestätigt
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Das ist wirklich eine Leistung!
Allerdings hatte ich auch mal eine Kollegin, der die Kunden Dostojewski buchstabieren mussten, weil sie nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wer das sein soll. Ich stand einigermaßen fassungslos daneben. Das war bei weitem nicht ihr einziger Patzer in der Art und dann sahen wir uns auch noch ähnlich genug, dass Kunden uns permanent verwechselt haben…
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Ich hätte Mühe beim Autor von Archipel Gulag, Solschenizyn ? Das mit der Ähnlichkeit ist natürlich bitter.
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Houellebecq. Wenn ich was von dem raussuchen muss, geh ich meistens den Weg über Elementarteilchen.
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Komischerweise war ich bei Dylan so froh, weil ich das Gefühl hatte, das löst jetzt mal diese Eiseskälte vom Nobelpreis, der eigentlich alle Autor/innen, die ihn bekommen, für mich unlesbar macht. Tja, dann müssen sich die Herrschaften dieses Jahr halt Platten kaufen, aber wahrscheinlich sind schon x Verlage dabei, die Songtexte zusammenzustellen und zu veröffentlichen.
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Sogar Reclam hat einen Dylan-Lyrics-Bands. Außerdem gab es eine Dylan-Konferenz, deren Beiträge in gesammelter Form erhältlich sind und verschiedene Bücher, in denen seine Werke interpretiert werden. Von den unzähligen Biographien mal zu schweigen.
Warum sind Nobelpreisträger für dich so unlesbar?
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1. Ach, die lieben Kunden! Mir verschafft das ein inneres Lächeln, wenn sich da wer produziert und eigentlich keine Ahnung hat. Die beste Geschichte hatte ich vorletztes Jahr: Da lief in der ARD eine fiktive Talk-Show in der Olli Dittrich alle Gäste selbst verkörperte. Unter anderem eine Autorin die über ihr Buch sprach. Es war zunächst nur eine Ahnung die mich während der Ausführungen der Kundin beschlichen, doch es lief im Endeffekt darauf hinaus, dass sie auf die Satire hereingefallen war. Ihr das zu vermitteln, war nicht so leicht, denn sie war recht überzeugt von der Existenz des Buches und lies nicht so leicht von ihrem Wunsch ab. Tja, so ist das Leben…
2. Nobelpreis- ich habe da einiges entdeckt, auf das ich meine Aufmerksamkeit sonst nie gerichtet hätte. Le Clezio wäre so ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit, der mir sehr gefällt. Oder Pamuk und Coetzee. Andere Preisträger sprechen mich nicht an (wie Nichtpreisträger eben auch!) und bleiben unbeachtet. Der diesjährige zum Beispiel… Warum sich nun alle nur für die Preisträger interessieren? Wahrscheinlich ist es ein Orientierungspunkt für viele, die sich nicht auskennen und glauben, damit etwas richtig zu machen und die Bedeutung des Ganzen überschätzen. So gibt es dann die beschriebenen Szenen im Laden. Ab Morgen dann mit Bodo K. in der Hauptrolle. Viel Spass!!!
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Vielen Dank!
Die Anekdote ist wirklich hinreißend.
Ich finde es auch immer schön, wenn die Kunden Rezensions-Überschriften für Titel halten. In der Belletristik passiert das seltener, aber nicht jeder lässt sich so leicht davon überzeugen, dass das neue Ottolenghi-Kochbuch nicht „Orientalische Köstlichkeiten“ heißt. Leider konnte ich aber weder das niederländische Kinderbuch „Voorleesmiddag“ besorgen noch den neuen Roman „Premierenlesung“. Und ganz ehrlich – letzteres würde mich als Romantitel überhaupt nicht überraschen.
Dafür stehe ich dann aber im Baumarkt und stammel wenig hilfreich „Wandfarbe. Weiß.“
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