Arthur Schnitzler: Therese

ArthurSchnitzler_Therese„Sie fragte sich wohl, ob es anders wäre, wenn sie ihr Frauenleben in einer anderen, schöneren Weise hätte erleben dürfen, als es ihr nun beschieden war […].“

In seinem (zweiten und letzten) Roman Therese beschreibt Schnitzler das Leben einer jungen Frau und ihren schleichenden sozialen Abstieg.
Geboren wird Therese Fabiani als Tochter eines Leutnants, der sich nach Ende seiner militärischen Laufbahn samt Familie in Salzburg niederlässt. Er verkraftet das Ende seiner Karriere schlecht und wird nach einigen öffentlichen Ausfällen in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Zu Hause wird das Geld knapp und nachdem der Bruder zum Studium nach Wien gegangen ist, versucht Thereses Mutter sie mit einem deutlich älteren Bekannten zu verkuppeln, auf dessen Geld und Titel sie hofft.

Als Therese dann noch von ihrer Jugendliebe enttäuscht wird, reicht es ihr endgültig und sie reist ebenfalls nach Wien ab. Aus Zeitungsinseraten weiß sie, dass dort jederzeit Kindermädchen gesucht werden und vertraut darauf, sich zumindest für die erste Zeit mit solch einer Stellung über Wasser halten zu können. Und dann, so der Plan, findet sich ein Mann, an dessen Seite man ein bequemes oder zumindest auskömmliches Leben haben kann. Aus heutiger Perspektive ist dieser Lebensplan erschreckend blauäugig und ambitionslos, am Ende des 19. Jahrhunderts war das aber mit das beste, was ein Mädchen aus einer bürgerlichen Familie erwarten konnte.

Doch in Wien läuft es nicht wie geplant. Zwar findet sie verschiedene Anstellungen, doch diese erweisen sich immer wieder als Sackgasse. Sie hat nur wenig Zeit für sich, ist immer an die Pläne ihrer Arbeitgeber gebunden und die Bezahlung ist meistens recht bescheiden. Das Ersparte reicht gerade, um die Zeit zwischen zwei Anstellungen notdürftig zu überbrücken. Auch die Suche nach einem festen Partner wird durch ihre Lebenssituation erschwert. Selten hat sie freie Wochenende und ihre Garderobe leidet unter den knappen finanziellen Möglichkeiten. So macht sie zwar verschiedene Bekanntschaften, doch nichts ist von Dauer. Und schließlich kommt es, wie es fast schon kommen musste – Therese ist schwanger, der Vater plötzlich unauffindbar und die aktuelle Herrschaft nicht bereit, die moralisch fragwürdige Frau länger zu beschäftigen.

In ihrer zögerlichen, manchmal naiven Art schafft Therese es nicht, angemessen auf die Situation zu reagieren. Sie unternimmt mehrere Anläufe, eine Abtreibung durchführen zu lassen und startet auch mehrfach den halbherzigen Versuch, den Vater des Kindes auszumachen, scheint am Ende aber selbst überrascht zu sein, dass sie tatsächlich eines Tages ein Kind zur Welt bringt. Mit unehelichem Kind ist es ihr nun endgültig unmöglich, einen angemessenen Ehepartner zu finden und ihr sozialer Abstieg unaufhaltsam. Mit Mitte dreißig schon fühlt Therese sich als alte Frau, die in ihrem Leben auf nichts mehr hoffen darf.

Das Frauenportrait, das Schnitzler in diesem Roman zeichnet, ist erschütternd. Therese ist über weite Strecken furchtbar passiv und wartet ab, was ihr wohl als nächstes passieren wird. Mitunter, gerade in Beziehungen, agiert sie aber auch sehr geschickt und versteht es, ihre Mitmenschen so zu manipulieren, dass es für sie möglichst günstig ausfällt. In den engen Grenzen, die ihr die sozialen Konventionen ihrer Zeit stecken, sind damit aber auch schon fast alle Möglichkeiten erschöpft. Man wünscht ihr die Möglichkeit, auszurasten und gegen die Ungerechtigkeiten in ihrem Leben aufzubegehren, aber das ist jenseits dessen, was eine Frau in ihrer Position sich am Ende des Jahrhunderts erlauben kann. Sie scheint nicht einmal auf die Idee zu kommen.

Über allem hängt ihre furchtbare Einsamkeit, die einem als Leserin auffällt, an der sie selbst aber auch oft verzweifelt. Der Rückhalt ihrer Familie ist minimal, zum Sohn kann sie trotz aller Bemühungen kein gutes Verhältnis aufbauen und echte Freundinnen findet sie weder in Salzburg noch in Wien. Nur einige wenige Vertraute findet sie unter anderen Kindermädchen oder Schülerinnen, aber auch diese Bindungen sind selten fest oder von Dauer. Ihr ganzes Leben scheint determiniert durch die Entscheidung, ein Kindermädchen, eine Dienstbotin zu werden. Damit ist ihr Schicksal besiegelt, ihre Freiheit verloren. Das Dasein von Therese Fabiani, das recht sorglos begonnen hat, wird über die Jahre schier unerträglich trist und aussichtslos. Auf spannende Höhepunkte wartet man in diesem Roman vergebens, die gibt es eben nicht in Thereses Leben, das immer am Rand des erträglichen kratzt. Umso trister wird es, wenn man sich bewusst macht, dass diese Biographie für viele Frauen zur Zeit der Jahrhundertwende Realität war.

Eine weitere Besprechung (durch ich erst auf den Roman aufmerksam geworden bin) findet sich bei 100 Jahre lesen.


Arthur Schnitzler: Therese. Gelesen in der Ausgabe Aufbau Taschenbuch 2012. 336 Seiten, €9,99.

Das Zitat stammt von S. 123.

3 Gedanken zu “Arthur Schnitzler: Therese”

  1. Eine sehr schöne Besprechung! Ich habe bislang nur die „Traumnovelle“ von Schnitzler gelesen und mich danach weitestgehend von dem Autor ferngehalten. Daher war mir gar nicht bekannt, dass er auch diesen Roman mit einer weiblichen Protagonistin verfasst hat. Das Buch würde vielleicht eine Möglichkeit eröffnen, Schnitzler noch einmal neu (und positiver) kennen zu lernen.

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    1. Ich kannte von Schnitzler vor diesem Roman auch nur die Traumnovelle und Leutnant Gustl. Letzterer hat mir ganz gut gefallen, die Traumnovelle ist so lang her, dass ich dazu schon gar nichts mehr sagen kann.

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      1. Bei mir war die Traumnovelle damals Schullektüre. Ich kann mich noch vage an die nächtlichen Eskapaden eines Arztes erinnern; die „Frauen“ in der Novelle kaum erwachsen (manche waren es tatsächlich nicht, wenn ich mich recht erinnere). Schnitzler hat mir nicht so zugesagt damals. Wenn ich mich jetzt noch mal an ihn heran wage, dann vermutlich mit „Therese“.

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