Allgemeines zum Deutschen Buchpreis anlässlich der Shortlist

Heute ist die Shortlist des Deutschen Buchpreises veröffentlicht worden. Ich will zu dieser Liste selbst gar nicht viel zu sagen, blogtechnisch ist der Preis nämlich großflächig abgedeckt und gelesen hab ich auch nichts davon. Eine Vorstellung der sechs „offiziellen“ Blogs, die über den Preis berichten, findet sich u.a. bei lustauflesen. Weitere  BloggerInnen haben sich für den Buchpreisblog zusammengetan und berichten dort über die Nominierten.

Außerdem finde ich, muss ich ja zugeben, den Deutschen Buchpreis nicht besonders aufregend. Das liegt zum einen sicher daran, dass ich eher an der englischsprachigen Literatur hänge. Man kann der deutschsprachigen Literatur nun wirklich keine mangelnde Qualität vorwerfen, mir aber vermutlich ein mangelndes Interesse. Von der Longlist sprechen mich in der Regel nur extrem wenige Titel an, sehr selten lese ich dann auch mal was davon. Letztes Jahr hat ja der manisch-depressive Teenager mein Herz erobert und es hat mich wirklich sehr gewundert, dass das auch der (völlig verdiente) Siegertitel war. Übrigens möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass es dieses grandiose Werk jetzt im Taschenbuch gibt.

Oft finde ich die nominierten Titel wenig aufregend. Das liegt vielleicht daran, dass der Deutsche Buchpreis, zumindest wenn man nach den Longlists geht, ein Preis für weiße Männer ist. Nun ist es natürlich nicht so, dass weiße Männer keine guten Bücher schreiben könnten (viele von ihnen lese ich sehr gerne), aber es fällt auf.

So sehr, dass ich mir die Longlists der letzten zwölf Jahre (also seit dem ersten Jahr) angeguckt habe um zu sehen, ob mein Eindruck mich täuscht. In den Jahren 2005-2016 waren 70,46% der Longlist-Titel von Männern, von denen ein ganz überwältigender Anteil aus dem europäischen Raum stammte. Ich komme auf 6 Nominierungen von Autoren, die aus dem nichteuropäischen Raum stammen, von denen allein 4 auf Zaimoglu entfallen. 29,54% der Nominierten waren also weiblich, meines Wissens alle gebürtige Europäerinnen. Osteuropa ist immerhin mit 23 Nominierungen (auch hier Dopplungen) auf den Longlists vertreten.

Wenn man den Auswahlprozess jetzt aber weiter verfolgt, verschieben die Verhältnisse sich. Zugegeben, in diesem Jahr fällt die Frauenquote mit einer einzigen Autorin auf der Shortlist sehr mager aus. Über die letzten zwölf Jahre aber waren 49 Titel von Männern und 23 von Frauen auf den Shortlists, also 68% zu 32%. Nicht toll, aber ein kleines bisschen besser.

Und betrachtet man die Gewinnertitel stehen dort sogar sechs Frauen (Katharina Hacker, Julia Franck, Kathrin Schmidt, Melinda Nadj Abonji, Ursula Krechel, Terézia Mora) nur fünf Männern (Arno Geiger, Uwe Tellkamp, Eugen Ruge, Lutz Seiler, Frank Witzel) gegenüber. Auf die Zahl der jeweils Nominierten umgerechnet bedeutet das, dass 3,29% der Longlist-Männer tatsächlich auch gewonnen haben, aber immerhin 9,23% der Frauen. Von den nominierten Nicht-Europäern hat es bisher niemand  geschafft.

Nun schreiben Frauen sicher nicht per se die besseren Bücher. Sie werden aber weniger und schlechter wahrgenommen und möglicherweise werden sie auch weniger ernst genommen. Das sieht man deutlich an den Verhältnissen auf den Longlists. Das ist kein Phänomen, das man nur dem Deutschen Buchpreis vorwerfen könnte, das ist international bei nahezu allen Preisen so zu beobachten. Meine Auswertung oben ist nicht detailliert, es gibt aber weit ambitioniertere Studien zu anderen Literaturpreisen. Immer wieder beklagen AutorInnen, dass die Verlags- und Veröffentlichungsstrukturen in vielen Ländern zu weiß und zu elitär geprägt seien.

Viele, davon auch viele kleine Verlage, treten diesem Phänomen entgegen und veröffentlichen Literatur, die von diesen Mainstream-Kriterien abweicht. Damit erreichen sie glücklicherweise auch LeserInnen, aber selten die großen Preise und damit auch nicht das große Interesse. Für Frauen gibt es mittlerweile eigene Preise und auch im Bereich der internationalen Literatur bzw. der Literaturübersetzungen sind Preise wie der Internationale Literaturpreis mittlerweile anerkannt und gut etabliert. Im Land lebende und schreibende AutorInnen nicht-deutscher Abstammung aber haben es offenbar bis auf wenige Ausnahmen extrem schwer, von den etablierten Größen des Literaturbetriebs anerkannt zu werden.

Mir ist klar, dass Diversität in Verlagsprogrammen nicht von heute auf morgen umsetzbar ist und dass es mit Risiko verbunden ist und dass es vielleicht keinen Markt gibt. Ich weiß, dass da Leute in den Verlagen sitzen, die viel von ihrem Job verstehen und sicher mehr als ich. Trotzdem wünsche ich mir, dass auf den Listen der großen Preise mehr nicht-weiße, nicht-männliche Stimmen sind. Die haben nämlich auch viel zu sagen.

(Ich weiß übrigens auch, dass ich da selber kein Vorbild bin und vieles von dem, was ich lese und vorstelle, nicht meinen eigenen Wünschen entspricht. Ich arbeite dran.)

12 Gedanken zu “Allgemeines zum Deutschen Buchpreis anlässlich der Shortlist”

  1. Ich bin auch eine ausgesprochene Freundin englischsprachiger Lektüre, in anderen Kulturen, sei es spanisch, japanisch, italienisch, russisch zu lesen ist spannend, bei etlichen vermisse ich dann aber das Wiedererkennen, das Heimatgefühl. Fazit man liest meist in der persönlichen Wohlfühlzone nahe der heimischen Kultur. Sicher mit ein Grund für die geringe Diversität. Och arbeite daran nur seehr gelegentlich. Schade, ich weiß, aber verständlich, gerade von Verlagsseite aus.

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    1. Klar bleibt man immer in der Wohlfühlzone, auch wenn ein Verlassen derselben nicht mal einen kulturellen Unterschied bedeuten würde. Man hat ja irgendwie so seine Themen und in denen liest man gern, auch schon innerhalb der eigenen Kultur.
      So richtig außerhalb der eigenen Kultur zu lesen wid ja ohne entsprechende Sprachkentnisse recht schwer. Ich lese zum Beispiel sehr gerne und viel Literatur indischer Autoren, aber ich glaube ausschließlich welche, die auch ursprünglich auf Englisch erscheint und auch dann nur welche, die zumindest in einem amerikanischen oder englischen Verlag erscheint. Anders werde ich auf diese Bücher nicht aufmerksam und kann sie mir auch schlecht beschaffen. Da hat ja schon jemand die Vorauswahl getroffen und findet, das Buch sei westlich genug. Was man in Indien so liest? Keine Ahnung.

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  2. Ein interessantes Thema (und ein wichtiges), das du ansprichst. Ich denke schon auch, dass zum Thema der Präsenz weiblicher Schriftstellerinnen – sei es bei Preisen, sei es in der öffentlichen Anerkennung – noch Nachholbedarf gibt. Es gibt so viele begabte Autorinnen, die jedoch von vornherein mit dem Etikett „Frauenliteratur“ versehen werden – und jedes Etikett bringt auch Ausgrenzung. Da muss sich schon noch viel ändern – auch von Seiten der Leser.

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    1. Definitiv. Ich bin ganz froh, dass zumindest der jetzige Baileys Women’s Prize for Fiction eine gewisse Anerkennung erreicht hat und mittlerweile als einer der wichtigen Preise für englischsprachige Literatur gilt. Andererseits aber auch schade, dass man nur über einen extra Frauenpreis die entsprechende Bühne erreichen kann. Denn da sind jedes Jahr Autorinnen dabei, die sich hinter ihren schreibenden Kollegen keinesfalls verstecken müssen.
      Aber ich habe genau wie du das Gefühl, dass Literatur von Frauen auch oft als Literatur für Frauen gilt und dann entsprechend emotional, gefühlig und romantisch eingeschätzt wird, was sich nicht selten auch in Vermarktung und Gestaltung niederschlägt. Ist natürlich oft totaler Quatsch.

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  3. Du sprichst mir mit deinem Artikel voll und ganz aus der Seele. Mir geht es mit dem Buchpreis genauso und Deine Einschätzung zur Literatur von Frauen teile ich ebenfalls. Wird Zeit da mehr dran zu ändern 😉

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    1. Absolut! Ich überlege gerade an einem größeren Frauen-Leseprojekt herum. Dieses Jahr wird das nichts mehr, aber vielleicht kann ich im nächsten Jahr mal meine eigenen Standards umsetzen 🙂

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  4. Ah, sehr gut, vielen Dank! Zum Thema „Diversität“ will ich schon lange was schreiben, hab auch schon x-mal halbe Beiträge dazu geschrieben und war nie zufrieden. Vielleicht poste ich den nächsten einfach, obwohl ich unzufrieden bin…

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  5. Männer sind einfach per se meist präsenter in dem, was sie tun. Dazu werden sie mehr oder weniger erzogen und den Gegenpart braucht es ja auch. Soll heißen: die Frauen tragen teilweise dazu bei, dass hier keine große Änderung passiert. Mal sehen – Frauen-Lese-Projekt hört sich spannend an 😉 Ich werde das verfolgen … LG, Bri

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