Jan Kuhlbrodt: Das Modell

Kuhlbrodt_DasModell„Beide waren wir Schwemmgut in dieser Stadt und als Diener der Oberfläche geendet.“

Die Herbstvorschauen dieses Jahr haben mich nicht sehr fröhlich gestimmt und die Ausbeute war zumindest mager. Dann aber las ich bei Edition Nautilus, dass es einen Mann gibt, der Jan Kuhlbrodt heißt und dessen neues Buch Das Modell sich liest wie eine Mischung aus Genazino, Witzel und Kurzeck. Außerdem stand dort, man dürfe sich gerne eine Leseexemplar anfordern, was mich in hektischen Aktionismus versetzt hat.

Das Modell ist ein recht kurzer Roman, der größtenteils in Frankfurt spielt. Er handelt von Schroth, einem Akademiker, der seine Promotion mangels eines Stipendiums aufgeben musste. Nun arbeitet er als Fensterputzer. Aufgewachsen ist er in Karl-Marx-Stadt und vor Jahren mit seinem Freund Thilo nach Frankfurt gekommen. Thilo ist Künstler, er formt Skulpturen aus Metall und glänzendem Chrom und zu Beginn des Romans fällt eines seiner Kunstwerke auf ihn. Ob es ihn erschlägt, erfährt der Leser nicht, denn Schroth weiß es selber nicht oder redet sich zumindest erfolgreich ein, es nicht zu wissen. Er hat die Ausstellung besucht, hat den Unfall aus nächster Nähe erlebt und ihn vielleicht sogar selbst herbeigeführt, aber er konnte bei Thilos Abtransport nicht erkennen, ob er noch lebt. Er hat nur gesehen, wie Thilo unter seiner Skulptur lag, in einer unnatürlichen Haltung.

Vor Jahren gab es schon einmal einen unsicheren Abschied zwischen Schroth und Thilo, auf der Besucherterrasse des Frankfurter Flughafens, als Thilo in ein Flugzeug nach Chicago stieg, um dort seine Künstlerkarriere voranzutreiben. Er versprach, mit Schroth in Kontakt zu bleiben und in Zukunft wieder mit ihm zusammenzuarbeiten, er selbst als Künstler, Schroth als Theoretiker, der über sein Werk schreiben sollte. Schroth rühmt sich, selbst den Grundstein zu Thilos Karriere gelegt zu haben, da er die erste Rolle Schweißdraht fand, mit der Thilo seine Modelle entwirft. Von Thilo und dessen künstlerischer Entwicklung scheint er besessen zu sein. Er berichtet, dass er ihm über Jahre Dinge mitgebracht hat, die er irgendwo gefunden hat in der Hoffnung, dass Thilo sie zu Kunst machen kann. Sein Enthusiasmus fand nicht immer den erwünschten Widerhall. Den Kontaktabbruch wertet er als Verrat, er fühlt sich ausgenutzt, weggeworfen und steigert sich fatal in die Situation hinein. Als er erfährt, dass Thilo nun wieder in Frankfurt ist und sich nicht bei ihm gemeldet hat, verliert er die Kontrolle.

Mit knappen 110 Seiten ist der Roman so kurz, dass man ihn an einem Abend lesen kann. Schroth erinnert tatsächlich an eine Genazino-Figur. Ein gescheiterter Akademiker, der in Frankfurt in einer Beschäftigung verödet, die bei weitem nicht das ist, was er sich mal vorgenommen und gewünscht hatte. Der Zeitraum der eigentlichen Handlung umfasst nur wenige Tage, von dem Tag an dem Schroth von Thilos Frankfurtbesuch erfährt bis zum Unfall bei der Ausstellung. Der Rest des Texts besteht aus Sequenzen aus Schroths Kindheit und der Studienzeit, die er mit Thilo verbracht hat. Vieles bleibt in der Erzählung ungesagt, man muss sich vieles aus dem erschließen, was der Erzähler zum Teil widerwillig preisgibt, muss die Halbwahrheiten auseinandernehmen und mühsam herausfinden, was Schroth einem eigentlich sagen will und ob er nicht vielleicht einfach völlig wahnsinnig geworden ist. Die Art, wie das geschieht, erinnert an Witzels Revolution und Heimarbeit, ist aber weit weniger verschachtelt und irre.

Das Modell ist ein herausragender Roman, er ist klug und witzig und sein einziges Manko ist, dass er so kurz ist. Schroth ist ziemlich herzzerreißend mit seiner unerwiderten, unartikulierten Anbetung des Künstlers und im Scheitern des eigenen Lebensentwurfs. Ich hätte tatsächlich gerne mehr davon gelesen, was ich zum Teil damit ausgeglichen habe, dass ich das Buch zweimal gelesen habe. Außerdem hat Kuhlbrodt einen Blog, der Postkultur heißt und gelesen werden muss.


Jan Kuhlbrodt: Das Modell. Edition Nautilus 2016. 109 Seiten, € 16,-.

Das Zitat stammt von S. 90.

2 Gedanken zu “Jan Kuhlbrodt: Das Modell”

    1. Für Fans unzuverlässiger Erzähler kann ich den oben genannten Frank Witzel sehr emfpehlen ebenso wie Christopher Ecker. Und auf gescheiterte Akademiker ist ja sowieso Genazino abonniert.

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