Valerie Fritsch: Winters Garten

Winters_Garten„Während draußen die Welt in tausend Stücke fiel, schliefen die Menschen miteinander, weil sie nicht anderes anzufangen wussten mit ihren heilgebliebenen Körpern, als sie zusammenzukleben zwischen all den Scherben.“

Valerie Fritsch ist einigen vielleicht noch vom letztjährigen Bachmann-Preis präsent, wo sie den Kelag-Preis und den Publikumspreis bekam für ihren Text „Das Bein“. Winters Garten ist ihr zweiter Roman.

Anton Winter wächst auf in einem Haus, das von einem riesigen Garten umgeben ist. Der Garten trägt ewig Früchte, er wächst auf inmitten von sattem Grün, verschwenderischer Fülle und nie versiegender Fruchtbarkeit. Die Welt, die dieses Paradies umgibt, ist nicht relevant für sein Leben. Es gibt eine Stadt am Meer, in die seine Großeltern gelegentlich fahren, die aber von den anderen Bewohnern des Hauses gemieden wird, so gut es geht. Sie brauchen nichts von der Welt da draußen. Doch es gibt auch Misstöne und seltsam anmutende Elemente in all dieser Perfektion. Die Großmutter hatte mehrere Fehlgeburten, die Föten bewahrt sie in Einmachgläsern auf, die im Keller zwischen der eingemachten Ernte des letzten Jahres stehen. Anton ist fasziniert von ihnen, von den Gebilden, die noch gar nicht als Kind erkennbar sind und von den fast fertigen Kindern, die mit winzigen, zur Faust geballten Händchen in den Gläsern schweben. Vor diesem Regal kann er Stunden verbringen.

Viele Jahre später hat Anton dieses Paradies verlassen. Warum, erfährt man erst sehr spät im Buch. Er lebt jetzt in der Stadt am Meer, die er so lange gemieden hat und ist Vogelzüchter. Er wohnt im höchsten Haus der Stadt und züchtet Vögel auf seiner Dachterrasse, wo sich Käfig an Käfig reiht.

Doch die Welt hat keine Zukunft mehr, ihr Untergang steht unmittelbar bevor. Die Sonne scheint fast nicht mehr, ununterbrochen regnet es und am Hafen treffen sich große Menschengruppen um sich gegenseitig zu erschießen, so aussichtslos ist die Situation. Durch die Stadt streunen hungrige Hunde und wilde Tiere, die aus einem Zirkus freigelassen wurden, in einem Hinterhof, den langen Hals an die Mauer gelehnt, skelettiert langsam eine Giraffe.

In diesem apokalyptischen Chaos trifft Anton auf Frederike und lernt das erste mal in seinem Leben die Liebe kennen. Eine Liebe, die bedingungslos ist und in der es keine Angst gibt, dass sie irgendwann vergehen könnte, weil es kein irgendwann mehr gibt. Frederike war Soldatin, arbeitet nun aber im Krankenhaus, weil es der einzige Ort in der Stadt ist, der ihr überhaupt noch Hoffnung geben kann. Denn ungeachtet der Aussichtslosigkeit kommen hier jeden Tag Kinder auf die Welt, deren Mütter auf sie achten und für sie sorgen, als hätten sie tatsächlich die Chance, eines Tages ihre ersten Schritte zu machen.

Die eigentliche Handlung dieses kurzen Romans ist sehr knapp gehalten und die Erzählweise ist eher darauf ausgelegt, Bilder zu erschaffen, als Handlung voranzutreiben. Man folgt einer kleinen Gruppe von Menschen, erst zwei, dann vier Personen, auf ihrem Weg durch die dunklen Tage. Valerie Fritsch stellt einzelne Bilder nebeneinander, Eindrücke aus einer Welt am Abgrund, die Anton Winter in seiner Umgebung findet: „Die Städte sterben. Das Land ist krank. Die Vögel fliegen fort. Immer weht der Wind.“ (73) Gedanken über den Untergang, über Liebe ohne Zukunft, über Hoffnung, von der jeder weiß, dass sie vergebens ist, nehmen viel Raum ein. Die Bedrohung bleibt sehr unkonkret. Als Leserin erfährt man nicht, was die Welt zerstören wird, und auch die Romanfiguren scheinen es nicht zu wissen. Bestrebungen, den Untergang aufzuhalten, gibt es nicht (mehr). Frederike fragt Anton, wie er sich das Ende vorstelle und offenbar hat er eine ganz andere Idee davon als sie. Es scheint keinen großen Knall zu geben, sondern einen graduellen Zersetzungsprozess, der die Welt oder zumindest alles Leben darauf am Ende auslöschen wird. Wann genau es so sein wird, scheint aber auch nicht abschließend geklärt zu sein.

Winters Garten ist kein Apokalypse-Roman wie man ihn erwarten würde, sondern ein Roman über die Konstanten des menschlichen Lebens, die nicht verhandelbar zu sein scheinen. An die Menschen sich klammern, auch wenn es offensichtlich unvernünftig ist und sinnlos. Glaube ist nicht dabei, aber Liebe und Hoffnung sind die beiden Größen, die Anton und Frederike am Leben halten, die sie davon abhalten, an den Massenselbstmorden teilzunehmen. Durch die aneinandergereihten Bilder entsteht eine düstere Endzeitstimmung, die in scharfem Kontrast zur Idylle steht, die am Anfang des Romans geschildert wird. Von der Sprache der Autorin war ich beim Bachmann-Preis schon begeistert und wurde auch von diesem längeren Text nicht enttäuscht.


Valerie Fritsch: Winters Garten. Suhrkamp 2016. 153 Seiten, € 10,-. Originalausgabe: Suhrkamp 2015.

Das Zitat stammt von S. 60

5 Gedanken zu “Valerie Fritsch: Winters Garten”

  1. Es geht doch nichts über einen feinen Weltuntergang bei 30 Grad und strahlender Sonne 😉 Das Buch klingt sehr gut. Hatte ich auf dem Radar, hätte es aber doch fast vergessen. Danke für die Erinnerung …

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    1. Ich hatte gestern so viel Sonne und gutes Essen, da musste ich einfach gegensteuern. Heute ist zum Glück wieder grauer Himmel und es gibt Kohlrabi.

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        1. „Willst du nicht noch einen Kohlrabi mitnehmen? Dieses Jahr wächst der bei uns so viel. Ich kann das gar nicht alles essen und verarbeiten kann ich den im Moment auch nicht, ich muss ja auch jeden Tag zum Opa ins Krankenhaus. Aber ich find das immer so schade, wenn der verkommt.“

          Ich war machtlos.

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