Ich lese, weil ich nicht weiß, wie es ist, nicht zu lesen. Ich hatte Phasen, in denen ich sehr viel gelesen habe und welche, in denen ich sehr wenig gelesen habe, aber es war immer eine Option. Und es ist nie ganz aus meinem Leben verschwunden, es ist eine Konstante. Ich habe einfach immer gelesen so wie ich immer gerne Sneakers getragen habe. Es ist einfach da und ich habe das nie hinterfragt.
Es ist ein Bestandteil meiner Tage und zwar eigentlich aller. Ich lese, wenn ich Freizeit habe oder wenn ich im Zug sitze und ich nehme ein Buch mit, wenn ich ahne, dass ich beim Arzt werde warten müssen. Natürlich nehme ich ein Buch mit, wenn ich an den Strand fahre und ich wüsste auch nicht, was ich da sonst den ganzen Tag tun sollte. Ich lese vor dem Schlafen und ich habe keine Ahnung, was ich sonst vor dem Schlafen machen sollte. Kann man sich einfach ins Bett legen und schlafen ohne noch wenigstens zehn Minuten gelesen zu haben? Also wenn man nüchtern ist? Kann man ebenso gut Candy Crush spielen?
Es ist eine praktische Beschäftigung. Man braucht nahezu nichts dazu und es ist vergleichsweise günstig, wenn man eine gute Bücherei in der Nähe hat sogar sehr. Deswegen tauche ich sehr selten und lese sehr oft. Man muss auch nicht besonders viel können. Lesen kann man lernen und braucht keine besondere Begabung dazu und es ist nicht schlimm, wenn man erst spät damit anfängt oder lange Pausen macht. Lesen kann man immer wieder, Primaballerina werde ich nie mehr.
Man wird immer klüger, wenn man liest. Es ist fast egal, was man liest, weil man aus jeder guten Story irgendwas mitnimmt. Es gibt Bücher über alles. Über Freundschaft und Liebe und Essen und Hunde und den Himmel und darüber, wie es ist, auf der Flucht zu sein. Darüber, wie es ist, ausgestoßen zu sein, nicht mehr so leben zu können oder zu wollen, über großes Glück und über Hoffnung. Und ich privilegierte weiße Frau, die immer nur in Deutschland gelebt hat, sitze am Strand und denke „scheiße, guck mal, so kann die Welt auch sein.“ Und die Menschen, die Bücher schreiben, erklären sich diese Welt und erklären sie sich auf ihre Weise, die nicht meine Weise ist und ich sitze auf meinem Bett und denke „guck mal, so klug muss man erstmal sein, dass man die Welt so gut versteht.“
Nicht alle Bücher sind immer furchtbar klug, aber jedes Buch hilft, diese Welt zu kartografieren. Ich habe Erinnerungen an Orte, äußere wie innere, schöne wie hässliche, an denen ich niemals war, aber vielleicht komme ich irgendwann mal hin und bin dann weniger verloren. Ich bin vorbereitet. Weil schonmal jemand da war und die Güte und den Mut hatte, mir davon zu erzählen. Danke dafür.
Weitere gute Gründe von vielen unterschiedlichen Bloggern findet man bei novelero.
Ich lese diesen Beitrag und ich bekomme Gänsehaut. So schön geschrieben und regt direkt zum nachdenken an. Das ich persönlich sagen würde : deshalb lese ich 😊 es sind eigentlich nur Wörter … doch Wörter die dich zu Tränen rühren aber auch zum lachen bringen können…
LikeGefällt 2 Personen
Eine wunderschöne Liebeserklärung an das Lesen!
LikeGefällt 2 Personen
Irre Frage. Ich habe mich das noch nie gefragt. Aber natürlich ist die Frage alles andere als überflüssig. Ich komme zum Beispiel aus einem Elternhaus, in dem nicht gelesen wurde, weit in die Großeltern- und Urgroßelterngenerationen. Leben und Lesen waren in diesen Familien unterschiedliche Dinge und man hatte offensichtlich mit dem Leben genug. Vielleicht ist Lesen auch nach wie vor verdächtig, denn es ist neben Sex wahrscheinlich das Intimste, was Menschen so machen. In Partnerschaften kann der Lesewunsch ein heißer Brei sein. Wenn ich schreibe, ich lese, weil ich es kann, klingt das ziemlich schnöde. Kommt der Wahrheit aber wahrscheinlich sehr nah. Und dann habe ich oft gelesen, weil ich eher schüchtern bin: also Lesen statt Leben. Oder weil ein Buch im Fall billiger ist als eine Reise ans Meer (das sehe ich heute allerdings nicht mehr so). Neugier wahrscheinlich auch. Ich lese seit Jahren weder in der Bahn noch sonst unterwegs. Weil ich dann das Gefühl bekomme, das Buch zu verraten (als Pausenfüller). Ich lese wohl auch, weil mir Filme zu hermetisch sind. Im Buch kann ich das Tempo bestimmen, vor- und zurückspringen, mir meine eigene Kulisse ausdenken. Ich denke, es hat sehr viel mit Zeit zu tun: Ich will selbst beim Eintauchen in andere Welten in meiner Zeit bleiben. Aber wahrscheinlich gibt es noch 100 andere Gründe.
LikeLike
Ich bin auch furchtbar schlecht mit Filmen. Ich bin mir absolut sicher, dass ich da ne Menge verpasse, aber es gelingt mir nicht, einen Zugang zu finden. Mit Hörbüchern kämpfe ich aber manchmal aus den gleichen Gründen – ich will manchmal springen und manchmal was nochmal überfliegen, das geht halt nicht so einfach.
Und liest du niemals im Zug? Egal, wie lang die Fahrt ist? Und was machst du stattdessen?
LikeGefällt 1 Person
Nee, im Zug nie, außer ich bin auf dem Weg zu einem Termin und muss noch was vorbereiten. Im Zug schaue ich aus dem Fenster. Komischerweise lese ich manchmal im Flugzeug. Aber wohl nur, weil ich meistens am Gang sitze und leider nicht aus dem winzigen Fenster schauen kann. Manchmal denke ich nach (muss ja auch mal sein) oder ich döse. Das Fahren an sich macht mich wahnsinnig müde. Manchmal höre ich den Mitreisenden zu. Ganz selten komme ich auch mal ins Gespräch.
LikeGefällt 1 Person