Lafcadio Hearn: Youma

youma„Die da gehört bereits der Vergangenheit an. Ihr besonderer Schlag war ein Produkt der Sklaverei, größtenteils durch Selektion erzeugt: die einzige Schöpfung der Sklaverei, deren Verlust man vielleicht bedauern könnte“

Irgendwann während meines Studiums habe ich ein Seminar zu Kolonialliteratur gemacht, ich glaube, es war Indien. Seitdem lese ich manisch alles, was irgendwas mit Kolonien zu tun. Ich kann nicht mal sagen warum, aber wenn ich einen Roman finde, der irgendwas mit Kolonien zu tun hat, werde ich ihn früher oder später lesen. Also auch Youma.

Der Roman spielt Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Karibikinsel Martinique. Youma, Tochter einer Sklavin, wächst als Ziehtochter einer weißen Kreolin auf. Ihr fehlt es an nichts, sie wird reich mit Kleidern und Schmuck beschenkt, und Aimée, die Tochter des Hauses, ist ihr wie eine Schwester. Allerdings wird Youma, trotz aller Privilegien, jede Bildung verweigert, da man fürchtet, das könne sie unzufrieden mit ihrer gesellschaftlichen Position machen. Als Aimée das elterliche Haus verlässt, heiratet und Tochter Mayotte auf die Welt bringt, bleiben die beiden unzertrennlich. Aimée erkrankt kurz darauf tödlich und Youma verspricht, immer an Mayottes Seite zu bleiben und wird, wie auch ihre eigene Mutter, eine da, eine Amme, zu der viele Kinder in der kreolischen Gesellschaft ein so enges Verhältnis haben, dass sie ihr näher sind als der eigenen Mutter.

Youma und Mayotte verlassen die Stadt um auf der Plantage von Aimées Witwer zu leben. In der märchenhaft beschriebenen karibischen Welt mit ihrer überbordenden Vegetation und dem rauen Meer werden die beiden ein Herz und eine Seele. Youma erlangt bescheidenen aber nachhaltigen Ruhm, als sie eines nachts Mayottes Leben rettet. Vor allem Gabriel, selbst Sklave auf der Plantage, ist beeindruckt von der tapferen Frau und verliebt sich in sie. Doch weder Gabriels Besitzer noch Youmas Patentante und Besitzerin erlauben eine Eheschließung. Sie beschließen, dass Gabriel zu grob für Youma sei. Bis zu diesem Punkt war Youma mit ihrem gesellschaftlichen Status immer zufrieden. Alle waren gut zu ihr und es mangelte ihr an nichts, nun wünscht sie sich das erste mal die Freiheit und fühlt sich doch zugleich an ihr Versprechen an Aimée gebunden. Es scheint der richtige Zeitpunkt für diese Gedanken zu sein, denn nur wenige Tage später bricht ein Sklavenaufstand los, in dem Youma sich für eine Seite entscheiden muss.

Hearn war griechischer Abstammung und bereiste die Karibik in den 1880ern. Ganz offensichtlich war er fasziniert von der Inselwelt Martiniques und von der Schönheit der schwarzen Frauen. Seine Schilderungen könnten Gauguin-Gemälde sein. Er bringt auch Volksmythen und Märchen mit in die Handlung ein, die er bei einem Aufenthalt auf der Insel gehört hat und die ihn wohl nachhaltig beeindruckt haben. Bei aller Liebe zu dieser Insel und ihren Menschen merkt man aber ganz deutlich, dass Hearn nicht mehr als ein faszinierter Besucher, ein Außenseiter war. Die kreolische Gesellschaft betrachtet er sehr wohlwollend und seine Schilderung des Lebens der Sklaven auf der Plantage klingt seltsam idyllisch. An einigen Stellen äußert Hearn sich durchaus kritisch und ablehnend über die Sklaverei im allgemeinen, das Leben der im Roman dargestellten Sklaven scheint davon aber nur wenig betroffen zu sein. Im Kontext der Entstehungszeit mag das nicht weiter verwunderlich sein, für heutige Leserinnen und Leser ist das aber sicher ein bisschen schwierig. Keine der Personen im Roman ist sonderlich fein ausgearbeitet, ihr Handeln scheint allein durch ihre gesellschaftliche Position determiniert zu sein, sie erfüllen mehr Rollen, als wirkliche Charaktere zu sein. Besonders deutlich wird dies, als zwischen den Sklaven der Streit ausbricht, ob es gute, weile gerechtere Sklavenhalter gibt, oder ob sie alle ausnahmslos der Teufel sind.

In der Darstellung dieses Konflikts und generell des Lebens auf der Plantage erinnert der Roman stark an Onkel Toms Hütte, zum Glück mit weniger Frömmigkeit. Für Kolonialliteratur-SammlerInnen wie mich ist dieser Roman, der erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, allein für die Sammlung sicher interessant. Als Werk an und für sich ist er aber nicht so herausragend, dass man ihn gelesen haben müsste.


Lafcadio Hearn: Youma. Jung und Jung 2016. Herausgegeben und übersetzt von Alexander Pechmann. 140 Seiten, € 17,90. Originalausgabe: Youma, The Story of a West-Indian Slave. Harper & Brothers 1890.

Das Zitat stammt von S. 9.

3 Gedanken zu “Lafcadio Hearn: Youma”

  1. Dein Interesse am Kolonialismus interessiert mich; liest du neben Romanen auch Denker wie Frantz Fanon oder Aimé Césaire?
    Der Gauguin-Vergleich ist übrigens schön prägnant, er funktioniert.
    Lieben Gruß

    Like

    1. In den letzten Jahren leider fast gar nicht mehr. An der Uni hab ich natürlich auch viele Sachtexte über den Kolonialismus gelesen, wovon meine Belletristik-Lektüre enorm profitiert hat. Aber seit ich nicht mehr studiere, stehen die Bücher größtenteils im Regal und ich blättere nur ab und zu mal rein, hauptsächlich in „Die Wilden und die Zivilisierten“ von Bitterli, weil das ein ganz praktischer Abriss zumindest der Geschichte und der wichtigsten Ideen ist.
      Aber eigentlich muss ich mal wieder was „richtiges“ in die Richtung lesen. Interessant finde ich auf jeden Fall auch das geschichtliche und ideologische Fundament, aber auch die neueren Ansätze und die Frage der Dekolonisation.

      Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.