„Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies“. So harmlos beginnt das umstrittenste Buch Deutschlands. Seit 08.01. ist Mein Kampf in einer kommentierten Ausgabe wieder im Handel. Theoretisch zumindest. Von der 4.000 Exemplare großen Startauflage wurden 15.000 vorbestellt – wer jetzt noch keins hat, muss auf einen Nachdruck warten.
Die Reaktionen darauf sind erwartbar kontrovers. Die großen Filialisten Thalia und Hugendubel meldeten, sie wollten das Buch nicht in ihren Läden vorrätig haben, auf Nachfrage aber bestellen. So verfahren wohl die meisten Buchhandlungen. Währenddessen ist (ebenso erwartbar) eine Debatte darum entbrannt, ob man das Buch überhaupt verlegen darf und ob man es dann auch lesen darf. Die Stimmen, die eindeutig dagegen sind, sind allerdings rar. Charlotte Knobloch hält für unabsehbar, was der Text bewirken wird und sieht die neue Edition eher kritisch. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, hält die Entscheidung dagegen für richtig – er verspricht sich davon, dass der Mythos um das Buch endlich aufgelöst wird. Und dieser Ansicht scheinen auch viele andere zu sein. „Wer hat Angst vor einem Buch?“ fragt Nils Makward in der Zeit und auch Timur Vermes, Autor von Er ist wieder da spricht sich dafür aus, dass das Buch wieder verlegt und auch gelesen werden sollte.
Tatsächlich ist um das Buch in den letzten Jahrzehnten ein gewaltiger Mythos gewachsen. Ich besitze, wie viele wahrscheinlich, die früher mal gängige Ausgabe in blau mit Reichsadler vorne drauf aus Omas Haushaltsauflösung. Ich wollte die auch eigentlich lesen, bevor genau diese Debatte losgeht, von der ich hier gerade schreibe. Aber ich bin nach nicht ganz einem Viertel grandios gescheitert. Ich fand es mühsam zu lesen und wirr geschrieben und erschwerend hinzu kam, dass ich Personen nicht kannte und Bezüge nicht verstand und irgendwann keine Lust mehr hatte, mehr wikipedia als eigentlichen Text zu lesen. In der Zeit aber, in der ich versuchte, das Buch zu lesen, lag es auf meinem Küchentisch. An diesen setzte sich ein Gast in der Absicht, an eben dieser Stelle seinen Kaffee abzustellen. Und weigerte sich, das Buch anzufassen. Ein stinknormales Buch, ein bisschen Papier, ziemlich angegilbt, Bindung nicht mehr ganz frisch, Stockflecken. Als könnte alles Böse, das darin steht, durch Berührung auf ihn übergehen. Ich musste es für ihn wegräumen. Das ist halt großer Quatsch.
Auch die Kundschaft war in den letzten beiden Tagen ziemlich unentspannt mit diesem Buch. „Es gibt da ja jetzt diese kommentierte Ausgabe… Sie wissen schon….“ Gute Frau, da müssen sie schon etwas deutlicher werden. Brauchen Sie den Palandt? Hab ich natürlich nicht gesagt. Hätte ich aber gerne nach dem 30. Mal. „Das war ja jetzt 70 Jahre verboten!“ war der andere Satz, den ich gestern wahrscheinlich noch häufiger gehört habe als „Wie lange haben Sie denn heute auf?“. 16 Uhr und nein, war es nicht. Der Freistaat Bayern hatte das Urheberrecht und sich entschieden, Mein Kampf nicht zu drucken. Das dürfen nämlich die Inhaber von Urheberrechten und sonst keiner. Deswegen darf ich auch nicht einfach Lindgren, Mann oder Tolkien drucken und verkaufen. Also ja, es war mir und vielen anderen Personen nicht erlaubt, das Buch zu drucken, aber so ist das eben mit diesem ärgerlichen Urheberrecht.
Jetzt allerdings darf man es tatsächlich auch nicht einfach unkommentiert nachdrucken, der Freistaat Bayern sieht das Werk als volksverhetzend an, räumt aber auch ein, dass das Buch eine historisch relevante Quelle ist und dementsprechend Interessierten zugänglich gemacht werden sollte. Und seien wir mal realistisch – wer Mein Kampf haben wollte, hat es doch sowieso schon. Entweder gebraucht oder als Nachdruck aus einem Land mit weniger langen Urheberrechtslaufzeiten. Oder aus einem illegalen Nachdruck. Überraschenderweise halten sich nämlich gar nicht alle an alle Gesetze. Wer nicht im Ausland bestellen will oder nahe genug an der Grenze wohnt, kann es sich auch einfach runterladen. Und dann steht es auch in einigen Bibliotheken. Ich glaube nicht, dass eine Horde Hitler-Fans sehnlichst auf diese Veröffentlichung gewartet hat um endlich lesen zu können, was drin steht. Die kommentierte Ausgabe ist interessant für alle mit historischem Interesse – ob sie gut ist, weiß ich nicht und werde ich auch nicht beurteilen können. Lesen konnte man Mein Kampf auch schon in den letzten siebzig Jahren und wer an Hitlers unkommentierten Ansichten interessiert ist, kann sich wahrscheinlich jede relevante Rede und einiges mehr bei youtube angucken.
Bleibt die Frage: Darf man mit Mein Kampf Geld verdienen? Das IfZ wird damit sowieso erstmal nicht so irre viel verdienen. Ein nicht ganz kleines Team hat über Jahre an dieser Ausgabe gearbeitet – billig war das sicher nicht. Und eine Förderung durch das Land Bayern wurde schon vor einiger Zeit eingestellt. Irgendwo habe ich gelesen, dass amazon die Einnahmen aus dem Verkauf spenden will. Leider habe ich vergessen wo und finde bei amazon selbst keinen Hinweis darauf. Die Frage, ob man mit historischer Quellenarbeit Geld verdienen darf ist ja eigentlich hinfällig. Aber darf man mit Hitler Geld verdienen? Profitiert man damit nicht irgendwie von ihm, wenn auch sehr indirekt? Die Frage gebe ich ab an Guido Knopp.
Ich glaube, bei der Angabe der Startauflage hat sich eine „Null“ zuviel eingeschlichen… In der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung vom 11.01.16 (Kultur) habe ich einen ersten interessanten Lese-Kommentar des Historikers Götz Aly gefunden.
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Oh, Du hast natürlich recht! Ist geändert, vielen Dank für den Hinweis!
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Sehr kluge Gedanken. Die ganze Hysterie um das Buch konnte ich noch nie so recht nachvollziehen. Wer es lesen wollte, der konnte ohne größeren Aufwand an den Text herankommen und die meisten mussten relativ schnell feststellen, dass „Mein Kampf“ eher „Mein Krampf“ ist – nämlich wirr, voller Hetze und in einem sprachlichen Stil verfasst, der einem nach 1960 sozialisierten Leser wohl mittlerweile vollständig unzugänglich ist.
Weshalb das Buch nicht schon viel früher in einer kommentierten Ausgabe erschienen ist, ist mir schleierhaft und im Grunde ein weiteres Beispiel der völlig verkorksten und verkrampften Aufarbeitung der NS-Zeit in Deutschland. Dass ausgerechnet der Freistaat Bayern auf den Rechten saß wie eine eifersüchtige Henne, macht das dann nicht unbedingt besser.
Ich halte es da auch eher mit den Herren Schuster und Vermes: Auf jeden Fall veröffentlichen, zur Aufklärung und Entmystifizierung. Frau Knoblochs wirre Angst ist für mich nicht nachvollziehbar. Seien wir doch mal realistisch: Wer sich von Hitlers Theorien angezogen fühlt, der lässt sich nicht durch eine 2.000-seitige, kritisch kommentierte Edition für 60 Euro radikalisieren. Der nimmt die Kurzfassung des Kameradschafts-Kollegen.
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